Der Mann in der orangefarbenen Winterjacke schüttelt den Kopf. Sein Blick ist auf den Eingang des Joseph-König-Gymnasiums gerichtet. Er steht auf dem Treppenabsatz vor seinem Haus und kann nicht fassen, was sich vor seiner Haustüre abspielt. Den Lärm der Schüler ist er gewohnt. Aber das ist nichts im Vergleich mit dem, was sich am Mittwochmorgen in der Holtwicker Straße abspielt.
Andacht im Joseph-König-Gymnasium
Wie an einer Perlenkette aufgereiht stehen die Übertragungswagen verschiedener Fernsehsender auf dem Seitenstreifen. Es wimmelt von Menschen, viele haben eine Kamera geschultert oder ein Mikrofon in der Hand. Dazwischen versuchen Schüler, sich den Weg nach Hause zu bahnen. Die Augen von einigen sind verweint, andere haben immer noch Tränen in den Augen. Sie kommen von der Andacht, die gerade im Joseph-König-Gymnasium zu Ende gegangen ist. Wenige interessieren sich für die Journalisten. Kaum jemand versucht, in eines der Kameraobjektive zu gucken.
Bürger sollen ungehindert Anteilnahme zeigen
"Das ist ja wie ein Spießrutenlauf für die Angehörigen", sagt die Polizeisprecherin ihren Kollegen. "Das müssen wir ändern." Sie bittet darum, den Absperrkreis um das Schulzentrum in der Nähe des Bahnhofs zu vergrößern. Ihr ist es wichtig, dass Angehörige, Freunde, Bürger der Stadt ihrer Anteilnahme ungehindert nachkommen können. Im Abstand weniger Minuten erscheinen Menschen mit Blumen in der Hand, die sie auf den Stufen vor dem Eingang ablegen möchten.
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann steht den Trauernden bei
In Sichtweite des Gymnasiums stellen Mitarbeiter der Stadtverwaltung Absperrgitter vor dem Rathaus ab. Dort findet am Vormittag eine weitere Pressekonferenz statt, an der auch NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann teilnimmt. Seit dem Morgen ist sie in Haltern, hat auch am stillen Gedenken in der Schule teilgenommen. Der Lehrerin war es wichtig, Lehrern und Schülern des Joseph-König-Gymnasiums an diesem Morgen beizustehen. Mehr als 100 Journalisten belegen jeden Sitzplatz im Ratssaal der Stadt. Vor den Kameras nimmt neben der Ministerin, dem Landrat und dem Bürgermeister auch der Rektor des Gymnasiums, Ulrich Wessel, Platz. Wie die vergangenen 24 Stunden für ihn verlaufen sind, schildert er mit eindrucksvollen Worten.
Rektor: "Nie wieder so etwas erleben"
Bei einer Schulleitertagung habe er einen Anruf des Schulsekretariats bekommen, er möge sich umgehend melden. Dann sei von einem Flugzeugabsturz die Rede gewesen. "Im ersten Moment habe ich gehofft, dass unsere Schüler und Lehrer nicht an Bord waren", so Wessel. Eine Hoffung, an die er sich in den kommenden Stunden festgehalten habe, die aber durch die weiteren Nachrichten und Informationen immer unwahrscheinlicher geworden sei. "Einen solchen Tag möchte ich in meinem Leben nie wieder erleben", beschreibt er die Stunden, als er den Eltern die schreckliche Nachricht vom Tod ihrer Kinder überbringen musste.
Angesprochen auf das Medienaufgebot vor seiner Schule erklärt der Schulleiter, er habe Verständnis für das große mediale Interesse. Dass Schüler und Lehrer seiner Schule von der Öffentlichkeit abgeschirmt würden, stoße wiederum bei den Medien auf Verständis. Kritischer sind da mehrere Schüler des Gymnasiums: "Das Auftreten der Medien ist unerträglich für uns." Lehrern und Schülern sagt Sylvia Löhrmann in der Pressekonferenz zu, sie bei der Bewältigung der Trauerarbeit tatkräftig zu unterstützen. Wichtig sei es, dass der Schulbetrieb weiter ginge, weil ein geregelter Tagesablauf den Betroffenen Halt in dieser schwierigen Zeit gebe.
Alle Veranstaltungen abgesagt
Das öffentliche Leben in Haltern wird in den kommenden Tagen ruhen. "Alle Veranstaltungen werden abgesagt", erklärt Bürgermeister Bodo Klimpel am Mittwoch (25.03.2014). Auch die Arbeit der politischen Gremien falle eine Woche lang aus. Draußen vor dem Rathaus fragt sich ein Passant, der die Ü-Wagen fotografiert, wie lange die Stadt brauchen wird, um das Geschehene zu verarbeiten: "Wir haben noch gar nicht verstanden, was da mit unserer Stadt passiert ist." Im Moment überlagert das Erstaunen über das gewaltige Medienaufgebot in Haltern bei vielen Bewohnern noch den Schock, den die Stadt erlitten hat. Wenn das vielsprachige Stimmengewirr der Reporter wieder aus der Stadt verschwunden ist, wird die Stadt vielleicht die Ruhe finden, die sie in ihrer Trauer nötig hätte.