Als Mirxan-Can Keles an einem Abend im Oktober 2022 mit seinem Partner durch die Kölner Innenstadt spaziert, fühlt er sich frei. Der 27-Jährige studiert Philosophie und Englisch an der Universität zu Köln und lebt im Stadtteil Nippes.
Es ist ein Moment der Unbeschwertheit – bis plötzlich drei junge Männer den Weg der beiden versperren. "Schwuchteln", ruft einer, dann folgen Tritte und Schläge. "Einer von ihnen ist mit voller Wucht auf meinen Knöchel getreten – der war an mehreren Stellen gebrochen", berichtet Keles. Drei Operationen, mehrere Knochenbrüche, Wochen im Rollstuhl: Für Keles beginnt ein neues Leben – geprägt von Angst und Rückzug. "Ich konnte nicht mehr zur Uni gehen. Und wenn ich es doch versucht habe, war ich still und in mich gekehrt", sagt er. "Das wirkt bis heute nach."
Queerfeindlichkeit keine Einzelfälle
Was Keles erlebt hat, ist kein Einzelfall. Im Jahr 2024 registrierte die Polizei in Köln 183 Ermittlungsverfahren wegen queerfeindlicher Hasskriminalität – ein Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Köln gilt als bunte, offene Stadt. Doch gerade dort, wo queeres Leben sichtbar ist, häufen sich die Angriffe.
Bundesweit verzeichnete das Bundeskriminalamt im Jahr 2023 insgesamt 1.785 queerfeindliche Straftaten. Seit 2010 hat sich die Zahl der Delikte im Bereich "sexuelle Orientierung" und "geschlechtsbezogene Diversität" fast verzehnfacht. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen.
Gewalt als Druckventil
Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig: gesellschaftliche Spannungen, Hetze im Netz, das Erstarken rechter Rhetorik. "Diese Form der Gewalt nimmt zu, weil auch der Druck in der Gesellschaft steigt. Das entlädt sich häufig auf Kosten von Minderheiten – queerfeindliche Gewalt ist da leider keine Ausnahme", sagt Ulf Willuhn, Oberstaatsanwalt in Köln. Viele Täter fühlen sich sicher – denn viele Taten bleiben ohne Konsequenzen, auch weil Betroffene aus Angst oder Scham schweigen.
Die Stadt Köln hat Maßnahmen ergriffen: Es gibt Schulungen für Polizei und Verwaltung, Ansprechpersonen für LSBTIQ*-Belange und die Kampagne "Anzeigen statt Aushalten". Doch vielen Betroffenen reicht das nicht. Sie wünschen sich unter anderem eine stärkere Polizeipräsenz an queeren Treffpunkten und eine konsequentere Strafverfolgung.
Für Keles ist eines klar: Er will sich nicht einschüchtern lassen. "Indem ich mich nicht unterkriegen lasse. Und indem ich weiter so laut und präsent bin, wie ich es auch vorher war."
Quellen:
- WDR-Reporter vor Ort
- Staatsanwaltschaft Köln
Hinweis: Mirxan Can-Keles arbeitet als studentische Hilfskraft bei WDR-Cosmo.