Auf dem Gehweg im Tunnel sind einige Grablichter so angeordnet, dass sie den Schriftzug 24.7.2010 bilden - den Tag, als aus der Techno-Party eine Katastrophe wurde. Petra Scholten und ihr Mann Thomas Schmeing sind zum ersten Mal zur Gedenkveranstaltung gekommen.
Petra Scholten erinnert sich: "Ich war damals mit meiner Tochter hier, da war sie 13 Jahre alt. Wir waren gerade auf dem Weg zum Gelände, aber als wir von weitem diese Menschenmasse vor dem Tunnel gesehen haben, sagte meine Tochter: ‚Lass uns lieber nicht da hingehen.‘ Da sind wir umgedreht."
Tunnel wurde zur Falle
Auch ohne die Erinnerung an die Loveparade ist der Tunnel kein Ort, an dem man sich gerne aufhält. Etwa 300 Meter ist er lang, 20 Meter breit, dabei gerade 4 Meter hoch. Alle paar Meter sind Graffitis an die Wände gesprüht. Die Lampen an der Decke erhellen den Tunnel kaum. Das einzige Tageslicht fällt dort herein, wo sich die Rampe zum Party-Gelände befindet.
Erinnerungen an der Rampe
Am Fuß der Rampe befindet sich die Gedenkstätte. Eine große, stählerne Wandtafel erinnert an die 21 Opfer. "Liebe hört niemals auf", steht dort in den sechs Muttersprachen. Vor der Tafel stehen Grablichter, viele Engelsfiguren und ein Verkehrsschild auf einem halb abgeknickten und verrosteten Mast.
Gleich daneben führt die steile, schmale Treppe nach oben. Über diesen Ausweg hatten viele versucht, dem Gedränge zu entkommen. Auf den Stufen stehen 21 Holzkreuze, die an die Opfer erinnern. Eines davon erinnert an Christian Müller.
Gemeinsam trauert man leichter
Christian war damals 25 Jahre alt. Seine Mutter Gabi Müller kommt jedes Jahr aus Hamm zur Gedenkveranstaltung nach Duisburg. "Die ersten Jahre hat es mir Angst gemacht, hierher zu kommen", sagt sie. Aber mittlerweile wisse sie, dass dieser Ort wichtig ist für das Erinnern. So sähen es auch andere Hinterbliebene und Angehörige. Über die Jahre sei man zu einer Gemeinschaft geworden. "Wir haben ja alle dasselbe Schicksal." Zu den Familien der anderen Todesopfer habe sie regelmäßig Kontakt, nicht nur an den Jahrestagen.
Kein Vertrauen in die Stadt Duisburg
Auch Jürgen Widera ist zur "Nacht der 1000" Lichter“ gekommen. Der evangelische Pfarrer war zehn Jahre lang Ombudsmann bei der Stadt – also die Anlaufstelle für alle Angehörigen und Betroffenen. Gerade am Anfang gab es viel Groll gegen die Stadt, erinnert er sich: "Das Vertrauen war gleich Null. Es gab viel Wut und auch Hass gegen die Stadt Duisburg und einige Angehörige lehnen auch heute noch jeden Kontakt zur Stadt kategorisch ab."
Die meisten seien aber inzwischen überzeugt, dass die Stadt die Erinnerung wach halten möchte. Dazu gehöre auch die "Nacht der 1000 Lichter" und die offizielle Gedenkfeier am Jahrestag selbst. "Vor allem die Andacht in der Salvatorkirche ist für viele Angehörige wichtig", sagt Widera.
Zukunft der Gedenkveranstaltungen
In diesem Jahr sind wieder Angehörige fast aller Todesopfer nach Duisburg gekommen. Bis auf die australische Familie sind alle für die Gedenkfeier angereist: aus Italien, den Niederlanden, auch aus China. "Mittlerweile kommen nicht mehr alle Familien jedes Jahr nach Duisburg", sagt Jürgen Widera.
Er ist in ständigem Kontakt mit den Angehörigen und es zeichnet sich ab, dass die Gedenkveranstaltungen in Zukunft anders ablaufen könnten. "Der Wunsch ist, dass wir bis zum 15. Jahrestag in der jetzigen Form weitermachen. Wie es dann weitergeht, werden wir mit den Familien und der Stadt gemeinsam entscheiden."
Immer wieder Vandalismus
Dazu gehört auch die Überlegung, wie man mit Verwüstungen an der Gedenkstätte umgeht. In den letzten Jahren kam das immer wieder vor, zuletzt Mitte Juni. Da hatten Unbekannte Grablichter umgeworfen und Kreuze zerstört. Darum denkt die Stiftung über eine Videoüberwachung nach.
Gabi Müller spricht für viele: "Mir fehlt dafür jedes Verständnis. Das Foto meines Sohnes wurde auch zertreten. Ich habe dann einen Bekannten gebeten, das Foto zu entfernen. Es ist schlimm genug, wie er gestorben ist."
Mutter "Diese Wut wird mich wohl nie loslassen"
Zum Jahrestag rückt auch wieder große Frage in den Vordergrund: Wer ist für die Katastrophe verantwortlich? Der ohne Urteil zu Ende gegangene Prozess brachte keine Antwort. Jürgen Widera von der Stiftung sagt: "Es wäre für die Angehörigen wichtig gewesen". Gabi Müller bestätigt das, gleichzeitig klagt sie aber auch an: "Es ist dieser bittere Beigeschmack, dass es auch keine politische Aufarbeitung gegeben hat. Und diese Wut, die wird mich wohl nie loslassen."
Über das Thema berichten wir auch in der Lokalzeit Duisburg am 24.07.2023 im WDR Fernsehen.