"Die Hoffnung stirbt jeden Tag etwas mehr" - eine Obdachlose erzählt Lokalzeit Ruhr 31.10.2024 03:32 Min. Verfügbar bis 31.10.2026 WDR Von Solveig Bader

"Die Hoffnung stirbt jeden Tag etwas mehr" - eine Obdachlose erzählt

Stand: 31.10.2024, 17:24 Uhr

Die Zahl der Wohnungslosen in Gelsenkirchen hat sich fast verdoppelt. Und es werden mehr Frauen, die gefährdeter sind als Männer.

Von Solveig Bader

Melanie hockt unter dem Dach eines Kassenautomaten an einem Parkplatz in Gelsenkirchen. Es nieselt. Jutebeutel mit ihrem Hab und Gut stehen neben ihr. "Guten Tag", sagt die 50-Jährige freundlich zu den Menschen, die vorbeikommen, um ihr Ticket zu bezahlen. In der Hoffnung, ein bisschen Kleingeld zu bekommen.

Seit sieben Jahren ist Melanie wohnungslos und lebt auf der Straße. "Ich renne meistens die ganze Nacht herum, hocke mich dann irgendwann an einem Parkplatz oder in einer Passage hin. Dann knicke ich vor Müdigkeit ein und schlaf ein paar Stunden". Sie leidet unter chronischem Schlafmangel, Ruhe findet sie nie wirklich. Immer komme jemand vorbei oder rufe die Polizei, weil man sich Sorgen um sie mache oder sogar Angst habe, sie sei tot, erzählt sie.

2017 musste Melanie aus ihrer Wohnung raus - nach 23 Jahren. Sie sei falsch beraten worden, habe Mietschulden aufgebaut. Und dann kam die Kündigung ihres Vermieters. Mehr Details verrät sie nicht.

Zahl der Wohnungslosen in Gelsenkirchen steigt

Melanie erzählt über ihr Leben als Obdachlose | Bildquelle: WDR/Solveig Bader

2017 musste Gelsenkirchen noch 100 Wohnungslose unterbringen, in diesem Jahr sind es schon 183. 17 Frauen sind dabei. Die Stadt reagiert darauf und will bis zum kommenden Sommer gemeinsam mit allen Beratungsstellen und Notschlafstellen ein umfassendes Konzept erarbeiten und in einer Wohnungslosen-Konferenz vorstellen. Denn der Bedarf an Unterkünften und Betreuung von Wohnungslosen steigt weiter.

Melanie wurde schon häufiger beklaut und schläft deshalb lieber draußen als in einer Notschlafstelle. Angst hat sie nicht mehr. Ihr Leben war vorher ganz normal, erzählt sie. Sie hatte eine Schreinerausbildung gemacht. Ihre 15-jährige Tochter hat sie in Obhut ihrer Schwester gegeben. Kontakt habe sie zu ihrer Familie schon seit Jahren nicht mehr, sagt sie und in ihren Augen sammeln sich Tränen.

Jeden Tag stirbt die Hoffnung ein bisschen mehr

Sich waschen, etwas essen und trinken können Wohnungslose im "Weißes Haus", eine Beratungs- und Begegnungsstätte für Wohnungslose der Caritas in Gelsenkirchen-Buer. Dort weiß man, dass die häufigsten Gründe für Obdachlosigkeit Probleme mit Ämtern, Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen, Armut, Trennungen, Gewalterfahrungen zuhause sind. Meist ist es dann eine Verkettung vieler Umstände.

Melanie hätte gern wieder ein Dach über dem Kopf und ein normales Leben. Aber wie das gehen soll, weiß sie nicht. Je länger dieser Zustand dauert, desto schwieriger ist es, die Kurve zu kriegen. Ihr Selbstwertgefühl und ihr Glaube an sich selbst gehen immer mehr verloren, sagt die Obdachlose. Daran gewöhnen kann sie sich aber nicht. Im Gegenteil: "Ich finde jeden Tag schrecklicher, weil jeden Tag die Hoffnung ein bisschen mehr stirbt".

Unsere Quellen:

  • Gespräch mit der Wohnungslosen Melanie
  • "Weißes Haus", Beratungs- und Begegnungsstätte der Caritas in Gelsenkirchen-Buer