Die deutschen Polizeibehörden wollen umfangreiche Konsequenzen aus den massenhaften sexuellen Übergriffen in der vergangenen Silvesternacht ziehen. Das geht aus einem 60-seitigen Geheimpapier von Polizeiexperten aus Bund und Ländern hervor, das dem WDR vorliegt.
Mehr Einlasskontrollen
Demnach soll es künftig bei vergleichbaren Massenveranstaltungen häufiger Einlasskontrollen geben. Dadurch könnten Tatgelegenheiten verringert werden. Aufgrund der hohen Besucheranzahl hätten bisher mögliche Tathandlungen "nicht rechtzeitig erkannt und unterbunden werden" können, heißt es in dem Papier. Mit Kontrollen könne man zudem aggressive oder stark alkoholisierte Personengruppen vom Zugang ausschließen sowie bekannte Straftäter identifizieren.
Weiter empfiehlt die Experten-Kommission den Einsatz von Polizeipferden, Hubschraubern und erhöhten Beobachtungsposten. Eine bessere Videoüberwachung sowie Lichtmasten zur Ausleuchtung werden ebenfalls angeraten. Außerdem soll die "Sicht- und Ansprechbarkeit" von Polizisten durch "mobile Dienststellen" erhöht werden, die als zentrale Anlaufpunkte dienen sollen.
Frauenrückzugsräume als Anlaufstelle
Für die Bearbeitung von Sexualdelikten sollen speziell ausgebildete Beamte, vor allem Frauen, eingesetzt werden. Dadurch sollen "bereits im Rahmen des ersten Angriffs qualifizierte Vernehmungen" durchgeführt und objektive Spuren gesichert werden. Außerdem ist laut Zeitungsbericht künftig die Einrichtung von "Frauenrückzugsräumen" zu prüfen, die Opfern und anderen Schutzsuchenden eine geeignete Anlaufstelle bieten sollen.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte dem WDR, tatsächlich sei das 60-seitige Arbeitspapier der Bund-Länder-Gruppe als "Handlungsempfehlung" für die Innenminister gedacht, die sich am Dienstag (29.11.2016) und tags darauf bei einer Konferenz in Saarbrücken beraten.
Ministerium: Viele Vorschläge schon umgesetzt
Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass viele der Vorschläge des Arbeitspapiers in NRW schon umgesetzt worden seien. Es habe an Karneval in Köln und Düsseldorf schon verstärkte Videoüberwachung sowie die Ausleuchtung belebter öffentlicher Plätze gegeben. An den Karnevalstage seien mobile Polizeiwachen und Frauenrückzugsräume zum Einsatz gekommen.
Außerdem sei die Polizeipräsenz in den Karnevalshochburgen verstärkt worden, hierbei seien auch speziell geschulte Beamte zum Einsatz gekommen, sagte der Sprecher. Laut Innenministerium waren die Ereignisse am vergangenen Jahreswechsel "neu und nicht vorhersehbar" - zu dieser Einschätzung komme auch der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Polizei-Gewerkschaft: "Ein Stück Symbolpolitik"
Volker Huß vom Landesbezirksvorstand der Gewerkschaft der Polizei in NRW sagte dem WDR am Montag, der Inhalt des Konzeptpapiers sei für die GdP nichts Neues. Die Polizei arbeite in diesen Organisationsformen bereits bei ganz vielen Veranstaltungen. Aus Sicht der Polizei-Gewerkschaft sei das Arbeitspapier "auch ein Stück Symbolpolitik", allerdings auf dem richtigen Weg. Huß: "Die Politik will eben dem Bürger jetzt zeigen: Wir haben die Sicherheit hier in Nordrhein-Westfalen im Griff. Das führt dazu, dass sich Politiker jetzt weit aus dem Fenster lehnen und sagen: Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst.“
Wie sich NRWs Großstädte im Detail auf Silvester 2016/17 vorbereiten, ist derzeit noch weitgehend unklar. Bisher hat nur der Kölner Polizeipräsident seine Planungen öffentlich gemacht, in erster Linie in personeller Hinsicht. Demnach sollen rund 1.000 Polizeibeamte und 500 weitere Kräfte von Ordnungsamt und Sicherheitsdiensten Vorfälle wie in der Silvesternacht 2015/16 verhindern.
650 sexuelle Übergriffe in Kölner Silvesternacht
In Köln hatten in der vergangenen Silvesternacht Gruppen von Männern Frauen umzingelt, bestohlen und sexuell bedrängt; das Bundeskriminalamt ging in einer Bilanz von rund 650 Fällen aus. Unter den Verdächtigen waren auch viele Asylbewerber. Auch in anderen deutschen Städten wie Bielefeld, Düsseldorf, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt und Nürnberg kam es zu Übergriffen, wenn auch nicht im selben Ausmaß. Die Projektgruppe von Bund und Ländern unter Führung des Bundeskriminalamts (BKA) war eingesetzt worden, um eine Wiederholung solcher Ereignisse zu verhindern.