Ambulante Pflege ächzt unter Omikron - dramatische Lage für Pflegebedürftige
Stand: 31.01.2022, 20:45 Uhr
Immer mehr Mitarbeiter von mobilen Pflegediensten fallen aus - wegen positiver Corona-Tests. Erste Leistungen werden bereits gestrichen. Die Lage sei "dramatisch", und es gäbe keine Puffer mehr.
Das Risiko der Corona-Variante Omikron ist für Ungeimpfte nicht zu unterschätzen. Doch die Variante ist auch für alle anderen gefährlich, weil sie ein zentrales Pflegesystem in unserem Land an seine Grenzen bringt: die ambulante Pflege.
80 Prozent der Pflegebedürftigen leben zu Hause
In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt mit 14.700 ambulanten Pflegediensten gerade einmal 700 weniger als Pflegeheime (15.400). Rund 80 Prozent der 4,1 Millionen Pflegebedürftigen werden in ihren eigenen vier Wänden betreut.
Die Betreuung im gewohnten Umfeld soll sich positiv auf die Gesundheit der Pflegebedürftigen auswirken. Doch auf dem System lastet ein enormer Druck. "Wir sind am Limit", sagt Schwester Rita vom Christophorus Pflegedienst, der unter anderem in Essen, Bochum und Leverkusen tätig ist. Viele ihrer Kolleginnen fallen gerade wegen Krankheit oder nach einem positiven Corona-Test aus.
Neuaufnahmen über Wartelisten
Schwester Rita arbeitet seit 32 Jahren in der ambulanten Pflege. Sie hat sich bewusst dafür entschieden, weil die Versorgung der Menschen in ihrem Zuhause einfach "persönlicher" ist. In der Corona-Pandemie kommt aber auch sie an den Punkt, wo es "keinen Spaß mehr" mache, weil man keine Zeit mehr für die Menschen habe.
Das Gros der Pflegedienste kann auch keine Patienten mehr aufnehmen - es geht in der Regel über eine Warteliste. Ähnliches gilt für die Kurz-, Tages- und Langzeitpflege. Wer schnell Hilfe benötigt, hat ein Problem. Eins, das erstmal nicht kleiner wird: Ali Celik, Geschäftsführer von Pflege Optimal in Krefeld, fürchtet, dass sich die Personalsituation durch die Impfpflicht verschärfen könnte. Er hält eine Abwanderung von mehr als fünf Prozent in der Branche für möglich.
Caritas-Station im Kreis Viersen überlastet
Bis dato sei Celik mit seinem Unternehmen "gegen den Strom" ganz gut durch die Pandemie gekommen. Den Kundenstamm habe er in den vergangenen zwei Jahren auf 300 verdoppeln können, und 15 neue Mitarbeiter seien auch dazugekommen. Seine mittlerweile 45 Mitarbeiter könnten noch alle Leistungen erbringen, aber er sei nicht "mega optimistisch, dass das auch so bleibt".
Bei vielen dürften Abstriche bei den Leistungen wegen des Personalmangels schon Realität sein. So hat eine Caritas-Pflegestation im Kreis Viersen ihre Kunden angeschrieben, dass man "vorübergehend" Leistungen wie Medikamentengabe, Verbandswechsel und das Anziehen von Stützstrümfen wegen Corona-bedingter Personalausfälle einstellen müsse.
Keine personellen Puffer in der Pflege
Christian Woltering, NRW-Landesgeschschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, kann das auch nicht ausschließen: "Das kann im Einzelfall vorkommen. Wir machen dann nur noch die notwendigsten Leistungen, damit weiter alle Pflegebedürftigen versorgt werden können." Anders gehe es mit weniger Personal bei einer gleichen Anzahl von Kunden eben nicht.
"Ein personeller Puffer ist nicht mehr vorhanden. Da ist vieles durch zusätzliches Engagement der Pflegekräfte aufgefangen worden, aber das Maß ist voll. Man merkt, dass die Menschen nicht mehr können", so Woltering. Die Situation in der ambulanten Pflege sei "dramatisch" - und das in einem Bereich, wo man schon vor Corona "mit Fachkräftemangel und einer zu dünnen Personaldecke zu kämpfen" hatte.
Mehr Druck für ohnehin stark belastete Angehörige
Woltering weist darauf hin, dass die Situation für die ohnehin schon stark belasteten Angehörigen stark gestiegen ist. "Das darf man nicht aus dem Blick verlieren. Deswegen sind wir auch gut beraten, noch nicht zu lockern", so Woltering mit Blick auf die Corona-Maßnahmen. Das gehe immer auf Kosten der Vulnerablen.
Aufgrund ähnlicher Probleme in allen Pflegebereichen - sprich der Wartelisten für Heimplätze - kann der auf dem System lastende Druck nirgendwohin entweichen. Er wird in den eigenen vier Wänden noch schwerer auf den Schultern pflegender Angehöriger lasten.
Damit sie nicht die Vulnerablen von morgen sind, müsse man das Problem des Fachkräftemangels in der Branche dringend lösen, um für künftige Pandemien besser gerüstet zu sein, so Woltering.