Das RKI meldete am Mittwochmorgen 39.676 Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages und somit den höchsten Wert seit Beginn der Pandemie. Die Sieben-Tage-Inzidenz hat sich innerhalb eines Monats verdreifacht: Bundesweit liegt sie bei 232,1, in NRW bei 147,9.
Als im vergangenen Winter ähnliche Werte erreicht wurden, waren die Konsequenzen drastisch: Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen, Lockdowns. Mit einer Impfquote, die aktuell bei 67,2 Prozent liegt, stellt sich die Lage zwar anders dar als vor einem Jahr. Doch dass etwas passieren muss, darüber sind sich die meisten Experten einig.
Drosten sieht "Notfallsituation"
"Wir müssen jetzt sofort etwas machen", sagte der Virologe Christian Drosten am Dienstagabend. Er sprach von einer "Notfallsituation", auf die man mit härteren Maßnahmen reagieren müsse. Ansonsten könnten - "konservativ geschätzt" - weitere 100.000 Todesfälle dazukommen.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sprach sich für eine bundesweite 2G-Regelung aus. Zutritt etwa zu Veranstaltungen, in Restaurants oder Museen gäbe es dann nur für Geimpfte oder Genesene. Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte die flächendeckende Anwendung von 2G.
Kommen neue "Shutdown"-Maßnahmen?
Für Linksfraktionschef Dietmar Bartsch stellt sich die Frage: "Was ist der größere Grundrechtseingriff: Ein erneuter Lockdown mit katastrophalen Folgen, insbesondere für Kinder und Familien, oder ein bundesweit geltendes 2G-Modell."
Virologe Drosten vermutet allerdings, dass 3G- und auch 2G-Maßnahmen angesichts der aktuellen Lage nicht mehr ausreichen, um die Zahl der Infektionen zu senken. Er sieht einen "anstrengenden Winter" mit neuen "Shutdown-Maßnahmen" auf Deutschland zukommen.
Kliniken schränken Regelbetrieb ein
Schon jetzt sind viele Kliniken an den Grenzen ihrer Kapazität. Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis rechnet damit, dass immer mehr Krankenhäuser den Regelbetrieb einschränken und Operationen bei nicht lebensbedrohlichen Fällen verschieben. "Wir werden kaum darum herumkommen", sagte der wissenschaftliche Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) am Dienstagabend in der ARD.
Die Berliner Charité, wo auch Drosten tätig ist, sagt seit Dienstag alle planbaren Eingriffe ab, um Mitarbeiter wieder vermehrt auf Covid-19-Stationen einzusetzen. "Wir brauchen die 2G-Regel und am Arbeitsplatz die 3G-Regel", sagte Karagiannidis.
Wüst und Spahn wollen schnelle bundesweite Lösung
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) will ein schnelles Bund-Länder-Treffen zur Corona-Lage und Gespräche über eine bundesweite 2G-Regelung. "Ich glaube, wir sollten darüber zu einer Verständigung kommen deutschlandweit, dass wir nicht am Ende wieder einen Flickenteppich haben. Und 2G scheint ein probates Mittel zu sein, darüber müssen wir reden", sagte der derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz im Deutschlandfunk. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) regte eine gemeinsame Abstimmung an. "Wir haben jetzt bald wieder 16 unterschiedliche Regelungen, das führt nicht per se zu mehr Akzeptanz", sagte er RTL.
Kutschaty kritisiert zögerliche Landesregierung
Wüst habe einen Termin noch in dieser Woche vorgeschlagen, was sich wegen der Koalitionsverhandlungen für manche Länderregierungen allerdings terminlich schlecht umsetzen ließe. Sollte sich das Treffen weiter verzögern, könne man auch "notfalls alleine" handeln. NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty kritisiert die aus seiner Sicht zu zögerliche Haltung der Landesregierung. "Worauf wartet Hendrik Wüst eigentlich noch?" Die Zahlen und auch die Stimmung in der Gesellschaft sprächen für sich. Zwei Drittel wünschten sich eine 2G-Regel, sagte Kutschaty der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.