Der Beschluss des OVG Münster ist eine "unglaublich tolle Überraschung", findet Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. "Am Anfang der Corona-Zeit waren alle Zuhause. Da haben wir riesiges Verständnis dafür gehabt, dass wir natürlich nicht die ersten sind, die wieder arbeiten dürfen."
Das sei allerdings geschwunden, als Kontaktsportarten und größere Veranstaltungen wieder erlaubt wurden, sagte die Sexarbeiterin am Mittwoch dem WDR. Doch nun können auch Bordellbetreiber und Prostituierte in NRW ihre Dienstleistungen vorläufig wieder anbieten.
Verstoß gegen Verhältnismäßigkeit
Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Dienstag in einem Eilbeschluss.
Es handele sich bei dem Verbot nicht mehr um eine notwendige Schutzmaßnahme, die die damit verbundenen Grundrechtseingriffe rechtfertige.
Lockerungen in allen Bereichen
Das Land habe mittlerweile weitgehende Lockerungen in nahezu allen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen zugelassen, so die Richter. Warum bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen nach wie vor ein vollständiger Ausschluss von Infektionsgefahren erforderlich sei, wäre nicht ersichtlich.
Ähnlich wie beim Sex werde auch beim Sport oder im Fitnessstudio heftig geatmet und vermehrt virushaltiges Aerosol verteilt. Auch sei nicht ersichtlich, warum die Gefahr bei sexuellen Dienstleistungen höher als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen sein soll. Das Gericht hat damit dem Antrag eines Unternehmens stattgegeben, das in Köln ein Erotik-Massagestudio betreibt.
Landesregierung sieht Probleme bei Umsetzung
Jetzt müssten schnell tragfähige Infektionsschutz- und Hygienekonzepte erarbeitet werden, betonte Josefine Paul, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion. "Wir fordern die Landesregierung auf, den Runden Tisch Prostitution NRW wieder einzuberufen und mit allen Beteiligten Lösungen für den Bereich der Prostitution zu finden." Auch Familienminister Joachim Stamp (FDP) erklärte, es stellten sich unter anderem Fragen zur Kontaktverfolgung.
Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. sieht kein Problem bei der Umsetzung der Hygienebestimmungen. Sie lebt in Berlin und arbeitet bereits seit vier Wochen wieder - mit Mundschutz, eingeschränktem Angebot und Hinterlegung der Kontaktdaten. Weber hat den Eindruck, dass ihre Kunden diese ordnungsgemäß angeben: Das Interesse, informiert zu werden, sei hoch - und die Daten werden diskret in Briefumschlägen verschlossen.
Weber empfindet es als Trauerspiel, dass sich die Gerichte einschalten mussten, damit Sexarbeiterinnen wieder ihrem Beruf nachgehen können. "Die Politiker haben uns von einer Schreibtischkante zur anderen geschoben." Den Grund dafür sieht die Sexarbeiterin in ihrer Branche. "Niemand will eine Lanze für uns brechen."