Berlin "bebt" nach Abstimmung | Aktuelle Stunde
Aktuelle Stunde . 30.01.2025. 42:40 Min.. Verfügbar bis 30.01.2027. WDR. Von Sebastian Galle.
CDU-Antrag zu Migration: Fotograf gibt Bundesverdienstkreuz zurück
Stand: 30.01.2025, 20:04 Uhr
Bei der Abstimmung im Bundestag zu einem Unions-Antrag in Sachen Migrationspolitik gab es nur dank der AfD eine Mehrheit. Darum will der Fotograf Luigi Toscano sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben - gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg. Ein WDR-Interview mit Toscano.
Das "Ja" des Bundestages zum Migrationsantrag der Union schlägt hohe Wellen. Mit den Stimmen der AfD kam eine Mehrheit für die Initiative zustande, die einen härteren Kurs in der Migrationspolitik vorsieht. Es ist das erste Mal, dass ein Antrag im Bundestag mithilfe der AfD eine Mehrheit bekommen hat. Das sorgte für hitzige Diskussionen - und manche ziehen daraus Konsequenzen. Etwa der Publizist Michel Friedman, der lange Zeit der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland war - er tritt aus der CDU aus.
Auch Luigi Toscano zieht Konsequenzen. Der in Deutschland als Kind italienischer Gastarbeiter geborene Fotograf hatte für sein Langzeitprojekt "Gegen das Vergessen" - eine weltweite Wanderausstellung mit Fotoporträts von mehr als 400 Überlebenden des Holocaust - im Jahr 2021 das Bundesverdienstkreuz bekommen. Die Auszeichnung will Toscano gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg zurückgeben. Wir haben mit Toscano über seine Beweggründe gesprochen.
WDR: Herr Toscano, warum geben Sie das Bundesverdienstkreuz zurück?
Luigi Toscano
Luigi Toscano: Ich gebe die Auszeichnung aus Protest über die Abstimmung im Bundestag in Sachen Verschärfung der Migrationspolitik zurück. Ich bin von der Entscheidung sehr enttäuscht. Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg und ich haben daraufhin gemeinsam beschlossen, dass wir das Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Die Menschen im Bundestag repräsentieren nicht das Deutschland, das wir vertreten.
WDR: Wie einschneidend war das, was am 29. Januar im Bundestag passiert ist, für Sie?
Toscano: Morgens hatte der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman im Bundestag gesprochen - und gleich nachmittags wurde eine so gravierende Entscheidung wie die Verschärfung der Migrationspolitik getroffen, mit der Unterstützung einer Partei wie der AfD, die zumindest in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt. Allein das war für mich ein Riesenschock.
Ich bin am 29. Januar aus Auschwitz gekommen, dort hatte ich eine Holocaust-Überlebende zu einem Gedenkort begleitet. Ich komme zurück ins Hotel, gucke die Nachrichten und war über das Bundestagsvotum ziemlich entsetzt. Und nicht nur ich, sondern auch viele andere Menschen, mit denen ich sprach. Albrecht Weinberg, mit dem ich dann gestern telefoniert habe, und ich kamen dann zu der Entscheidung, dass wir das uns verliehene Bundesverdienstkreuz zurückgeben möchten.
WDR: In welcher Form wollen Sie das machen?
Toscano: Das wissen Weinberg und ich noch nicht genau. Wir erwägen, den Bundespräsidenten entweder persönlich zu treffen und ihm ins Gesicht zu sagen, was wir denken. Oder wir packen alles in einen Umschlag mit der Adresse Bundespräsidialamt und werfen ihn in den Briefkasten.
WDR: Sie sagen also "Mir reicht's?"
Toscano: Ja genau. Mir reicht's. Es kann doch nicht sein, dass auch die Menschen, die im Bundestag bei der Abstimmung über die Verschärfung der Migrationspolitik mit Nein gestimmt haben, nicht auf die Barrikaden gehen. Wo sind die Menschen, die ganz laut nach Demokratie schreien? Wo sind die Menschen, die sagen, eine Brandmauer darf nicht einstürzen? Wo sind sie denn gerade? Ich sehe keinen. Das ist das, was mich am meisten enttäuscht.
Wir haben Vertreter ins Parlament geschickt, und da erwarte ich einfach eine ganz klare Haltung. Und das, was da repräsentiert wird gerade, das ist keine klare Haltung. Ich habe sie, die klare Haltung. Ich bin gegen Antisemitismus, Rassismus und gegen jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit. Und die anderen? Viele haben sich über Jahrzehnte für Demokratie stark gemacht und sie verteidigt. Wir müssen jetzt mit anschauen, wie das Ganze den Bach runtergeht in Deutschland, ich bitte Sie!
WDR: Am Freitag geht es im Bundestag um einen Gesetzentwurf der Union zur Eindämmung der Migration. Auch hier signalisierte die AfD - neben FDP und BSW - bereits Zustimmung. Was befürchten Sie, was macht das mit Ihnen?
Toscano: Ehrlich gesagt, ich habe Angst. Aber auch die Hoffnung, dass die Menschen jetzt aufwachen. Dass sie endlich begreifen, dass das nicht geht. Albrecht Weinberg sieht das ebenso wie ich. Wir hoffen, dass der Gesetzentwurf im Bundestag keine Zustimmung findet.
WDR: Welche Reaktionen haben Sie nach der Ankündigung bekommen, Ihr Bundesverdienstkreuz zurückzugeben?
Toscano: Ich bekomme, von Ausnahmen abgesehen, positive Reaktionen aus der ganzen Welt. Um das klarzustellen: Mir fällt das nicht leicht, so ein Schritt, das Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Ich weiß, was die Auszeichnung bedeutet. Ich habe dieses Bundesverdienstkreuz wirklich sehr gerne getragen. Ohne Flachs. Und erlauben Sie mir bitte die Bemerkung: ich bin stolz auf unser Land. Die Bundesrepublik Deutschland ist meine Heimat.
Meine Haltung in Sachen Demokratie möchte ich bewahren - und wenn es sein muss, auch verteidigen. Albrecht Weinberg und ich überlegen gerade weitere Aktionen, die deutlich machen, dass wir in Deutschland endlich aufwachen müssen. Das, was da gerade stattfindet, ist unerträglich.
WDR: Wie sieht gerade der Blick von außen auf Deutschland aus?
Toscano: In der Vergangenheit hatte ich mit vielen Holocaust-Überlebenden zu tun. Und einige von ihnen sind gerade ziemlich besorgt über das, was gerade hierzulande stattfindet. Viele der Überlebende sehen es als eine Katastrophe, dass eine undemokratische Partei wie die AfD demokratisch gewählt wurde.
Wir in Deutschland müssen alles dran setzen, dass wir unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Wir haben eine große Verantwortung, denn unsere Vorfahren waren diejenigen, die den Holocaust veranstaltet haben und nach 1945 ein "Nie wieder" geschworen haben.
Das Interview führte Sebastian Galle. Für die Online-Fassung wurde der Text an einigen Stellen sprachlich bearbeitet.