Wenn es einen Moment gibt, der von der Trauerfeier im Dom in Erinnerung bleibt, dann ist es der, als Sarah ihre Fürbitte spricht. Mit ganz leiser Stimme, selbst über Mikrofon kaum zu hören in der Weite des Gotteshauses, spricht die junge Frau, die ihre Schwester beim Absturz der Germanwings-Maschine verloren hat, zwei Sätze. Dann versagt ihre Stimme. "Trockne unsere Tränen", sagt sie. "Schenke uns allen neuen Lebensmut." Und dann, unter Tränen: "Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein neues Zuhause. Und pass immer auf sie auf." So ergreifend vermag an diesem Tag niemand auszudrücken, was in den Hinterbliebenen der 150 Opfer von Flug 4U9525 vorgeht.
Abgeschirmt vom Trubel draußen
Es ist ein widersprüchlicher Tag in Köln. Die Sonne scheint, die Temperaturen sind angenehm. Überall in der Innenstadt sieht man lachende, gut gelaunte Gesichter. Die Menschen strömen durch die Einkaufsstraßen. Sie sitzen in Cafés und machen Selfies vor dem Dom. So wie immer. Im Inneren der großen gotischen Kathedrale jedoch ist rein gar nichts zu spüren von Lebensfreude. Ein Schutzwall aus Polizeisperren und Absperrgittern umgibt das Gotteshaus. Domplatz und Roncalli-Platz bleiben tabu. Abgeschirmt von den neugierigen Blicken Schaulustiger und Hundertschaften von Journalisten aus aller Welt werden Angehörige und Freunde der Absturz-Opfer in die Kirche geführt. Würdenträger aus Kirche und Staat, gekleidet in Schwarz, folgen einzeln durch den Seiteneingang.
Vor dem Altar brennt auch eine Kerze für den Co-Piloten
Im Dom ist es sehr leise. Die Domschweizer haben wenig zu tun. Alle Sitzplätze sind belegt, doch wer will, findet problemlos einen Stehplatz. 250 nicht geladene Besucher sind zugelassen. Gedränge gibt es nicht, nur wenige sind gekommen, um der Trauerfeier beizuwohnen. Um kurz vor zwölf läuten die Glocken. Vor dem Altar brennen 150 Kerzen. Auch des Co-Piloten Andreas L., der vermutlich den Absturz absichtlich herbeiführte, wird gedacht. "Auch seine Angehörigen haben einen geliebten Menschen verloren", sagt später Bundespräsident Joachim Gauck.
Es ist einer von vielen guten Sätzen des deutschen Staatsoberhaupts. Gaucks Rede ist einfühlsam und klar zugleich. Ihm gelingt es, die Fassungslosigkeit und das Entsetzen in Worte zu kleiden. Er spricht vom Bösen, den Abgründen der Seele und von einer "verstörenden Vernichtungstat". Er habe in viele todtraurige Augen geschaut, sagt er. "Diese Begegnungen zerreißen einem das Herz." Aber Gauck ist nicht im Dom, um anzuklagen. Er will versöhnen und trösten. Er spricht vom "Band des Mitgefühls", das die Hinterbliebenen mit Menschen überall in Deutschland und der Welt verbindet. "Du bist nicht allein", sagt er am Schluss. Ein so einfacher wie tröstender Satz.
Theologische Antworten auf das Unbegreifliche
Worte finden, trösten, Hoffnung machen. Das sind die zentralen Anliegen aller, die an diesem Tag im Dom reden. Es ist eine schwierige Aufgabe. Zu nah ist das Ereignis, zu schrecklich der Gedanke an so viele Menschen, die sinnlos starben. Die beiden Prediger im Dom, Kardinal Rainer Maria Woelki und Präses Annette Kurschus, geben Entsetzen und Zweifel breiten Raum. "Wo warst Du, Gott?", fragt Woelki. "Hat Gott vergessen, gnädig zu sein?", erwidert die evangelische Pfarrerin in der liturgischen Eröffnung des Gottesdienstes. Woelki wie Kurschus antworten in ihren Predigten schließlich mit theologischen Argumenten: Die Auferstehung, das ewige Leben, Liebe, die stärker ist als der Tod. Und weil der Kölner Erzbischof weiß, dass nicht alle Angehörigen Trost im Glauben finden, ruft er ihnen zu: "Lassen Sie sich tragen von den anderen. Das Mitgefühl ist ein Band, das zurückführt ins Leben."
Die Trauerfeier endet nach fast zwei Stunden mit einem Trauergeläut. Abgeschirmt wie zuvor verlassen die Angehörigen die Kirche. Staatslimousinen bewegen sich aus der Stadt. Absperrungen werden weggeräumt, Kameras abgebaut. Der Tag der Trauer ist vorbei, doch die Erinnerung wird bleiben. Vor allem an eine Fürbitte.