In Deutschland erkranken jährlich laut Robert-Koch-Institut rund 500.000 Menschen an Krebs, rund 25.000 davon an einem Melanom - dem schwarzen Hautkrebs. Das ist eine Krebsart, die sich in einem frühen Stadium gut behandeln lässt, weshalb es seit 2008 auch ein von den Krankenkassen übernommenes Hautkrebs-Screening gibt, mit dessen Hilfe Hautkrebs früh erkannt werden soll.
Effizienz des Hautkrebs-Screenings nicht belegt
Wie hilfreich das ist, sei durch Zahlen allerdings gar nicht belegt, kritisiert etwa Professor Jürgen Windeler, der bis 2023 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) geleitet hat. "Man hat sich davon versprochen, dass die Sterblichkeit am Schwarzen Hautkrebs sinkt. Das ist nicht passiert", sagte er im Gespräch mit dem WDR.
Er fordert, dass man "dringend" über das Verfahren nachdenken müsse, zumal für Patienten die Gefahr falscher Diagnosen sowie die Behandlung von harmlosen Tumoren oder solchen drohe, die für einen Patienten aufgrund ihres langsamen Wachstums eventuell nie zum Problem geworden wären.
Dass das System nicht perfekt ist, räumt auch Professor Dirk Schadendorf, Direktor der Klinik für Dermatologie und Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums am Universitätsklinikum Essen, ein. Doch für ihn überwiegen die Vorteile des Screenings.
Früherkennung besser als Therapie fortgeschrittener Erkrankung
Schadendorf verweist auf rund 3.000 Patienten, die jährlich am Schwarzen Hautkrebs sterben. 300.000 weitere erkrankten am deutlich harmloseren Weißen Hautkrebs. Wer einen Verdacht hat, kann die Stelle beim Hautarzt oder checken lassen. Meisten ist es kein Krebs.
"Von 100 Personen, die der Hausarzt mit Verdacht auf Hautkrebs an den Dermatologen überwiesen hat, werden 80 vom Dermatologen als unauffällig eingestuft", teilt die Deutsche Krebshilfe mit. Bei 20 erfolgt die Biopsie, also eine Gewebeentnahme. Bei 16 von ihnen wird kein Hautkrebs festgestellt. "Das heißt: Bei vier von 100 Menschen mit Verdacht wird tatsächlich Hautkrebs entdeckt."
Neben den Leben, die man durch eine Früherkennung mutmaßlich retten könne, müsse man auch die Behandlungskosten für diese Patienten im Blick haben, sagt Schadendorf.
Zwar kritisierte Windeler im vergangenen Jahr, dass das Screening-Verfahren Kosten von rund 200 Millionen Euro verursache. Aber Schadendorf sagt, dass man auch die anderen Kosten sehen müsse. Krebs, der früh erkannt werde, entwickele sich gegebenenfalls eben nicht zu einem Melanom im fortgeschritten Stadium, wo die jährlichen Behandlungskosten irgendwo zwischen 50.000 und 150.000 Euro liegen könnten: "Da kommt für einen Patienten schon mal schnell ein Einfamilienhaus zusammen."
Die Notwendigkeit der Untersuchung betont auch die Professorin Cindy Franklin, Oberärztin an der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Universitätsklinik Köln, ähnlich. Die "frühzeitige Erkennung" sei der "Therapie der fortgeschrittenen Erkrankung" immer vorzuziehen: "Es ist so, dass der Schwarze Hautkrebs der Hauttumor ist, der zu den meisten Todesfällen führt." Streue er erstmal in Organe, sei er nicht mehr gut zu behandeln.
Hautkrebs bei manchen Jobs als Berufskrankheit anerkannt
Obwohl Franklin und Schadendorf die Vorsorge-Untersuchung grundsätzlich positiv bewerten, sehen auch sie Luft nach oben. Beide beklagen, dass gerade Risikogruppen zu wenig Gebrauch vom Screening machen, das für Menschen ab 35 Jahren alle zwei Jahre von der Krankenkasse bezahlt wird.
Zur Risikogruppe zählen laut Schadendorf:
- Menschen mit heller Haut und hoher Sonnenbrandempfindlichkeit
- Menschen mit sehr vielen Pigmentmalen auf der Haut
- Menschen, bei denen es in der Familie bereits Fälle von Hautkrebs gegeben hat
- Menschen, die lange in sehr sonnigen Regionen gelebt haben
- Menschen, die im Freien arbeiten
Bei den Risikogruppen verweist Schadendorf darauf, dass Berufsgenossenschaften Hautkrebs beispielsweise bei Gärtnern und Dachdeckern als Berufserkrankungen anerkennen würden: "Das würden sie sicher nicht machen, wenn da nicht eine ganz solide Beweislage vorhanden wäre." Er würde sich wünschen, dass Risikogruppen ähnlich wie beim Brustkrebs zu den Vorsorgeuntersuchungen eingeladen würden.
Schadendorf fürchtet, dass die Hautkrebs-Inzidenzen künftig weiter steigen werden. Die Folgen der Reisewellen in sonnige Länder und der Beliebtheit von Solarien kämen erst nach und nach zum Tragen. Auch treibe eine stetig älter werden Bevölkerung die Zahlen in die Höhe.
Deshalb rät Schadendorf neben der Vorsorgeuntersuchung auch zu Schutzmaßnahmen, die in Ländern wie Australien und Neuseeland längst ganz selbstverständlich seien und fordert in Städten die konsequentere Umsetzung von lange geforderten Maßnahmen zum Schutz vor der UV-Strahlung der Sonne als Hauptauslöser für Hautkrebs. Sonnenschutz auf Spielplätzen und öffentlichen Plätzen sollte Standard sein.
Prophylaxe-Tipps von Schadendorf:
- Sonnenstudio-Besuche vermeiden
- Lichtschutzmittel konsequent nutzen
- Textiler Schutz bei entsprechender Sonnenstrahlung
- Auf den UV-Index in Wetterberichten achten - ab einem Wert von 5 Lichtschutz verwenden
Schadendorf ist mit dem bestehenden Verfahren nicht restlos glücklich und beklagt wie Windeler die mangelhafte Datenlage: "Die wissenschaftliche Begleitung des Hautkrebs-Screenings ist unzureichend, die bei den Krankenkassen erfassten Daten lückenhaft und schlecht." Das müsste der Gesetzgeber ändern, um wirklich erkennen zu können, dass das Screening hilft.
Screening-Apps laut Schadendorf noch nicht verlässlich
"Was wir verhindern können und früh entdecken, rettet Leben und verhindert Kosten", sagt der Mediziner. Deswegen böte man etwa im Zentrum für familiären Hautkrebs in Essen auch kostenlose Untersuchungen für Menschen an, die noch nicht 35 Jahre alt sind. "Es gibt ein familiäres Melanom, eine genetische Komponente, und solche Menschen will ich dann auch schon mit 20 oder 30 Jahren beim Screening sehen", so Schadendorf.
Und dies solle am besten ein Arzt durchführen. Es gibt zwar bereits Hautscreening-Apps, doch die betrachtet Schadendorf noch nicht als verlässlich. Künstliche Intelligenz werde eine immer größere Rolle spielen - derzeit sei der Arzt erste Wahl, der gegebenenfalls auch für eine falsche Diagnose geradestehen muss.
Seine Kollegin Franklin ergänzt einen weiteren wichtigen Aspekt der Früherkennung - einen, den jeder zu Hause umsetzen kann - "vor allem auch selbst bei sich drauf achten, dass man bei auffälligen Veränderungen doch zum Hautarzt geht".
Unsere Quellen:
- Gespräch mit Professor Dirk Schadendorf
- Gespräch mit Professor Jürgen Windeler
- Gespräch mit Professorin Cindy Franklin
- Robert-Koch-Institut
- Deutsche Krebshilfe