Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ab kommenden Montag für ein halbes Jahr vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen angeordnet. Die SPD-Politikerin erklärte am Montag, die Regelung sei "europarechtskonform". Begründet hat sie diese Maßnahme mit der aktuellen Sicherheitslage in Deutschland und der Zunahme der grenzüberschreitenden Kriminalität.
Union bricht Gespräche beim Migrationsgipfel
Darüber hinaus plant die Ampel-Regierung weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlug beim Migrationsgipfel am Dienstag mit Regierungsvertretern, Union und Ländern ein Modell vor, um Asylbewerber, die anderswo in der EU schon registriert wurden, künftig rascher in für sie zuständige Staaten zu bringen. Diese Pläne will die Ampel-Regierung nun auch ohne die Union verfolgen, die den Migrationsgipfel mitten in den Gesprächen abbrach. Ihre Begründung: Die Ampel sei nicht zu umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen bereit.
Was gilt derzeit in puncto Grenzkontrollen?
Bei Personenkontrollen an den Grenzen ist vor allem das Schengen-Abkommen maßgeblich. Grenzkontrollen innerhalb der EU sollen demnach der Vergangenheit angehören. Aber es gibt Ausnahmen. "Bei Gefahrenlagen darf es für bestimmte Zeiträume Grenzkontrollen geben, aber nur für maximal sechs Monate", sagt ARD-Rechtsexperte Max Bauer.
Die Anordnung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag ist genau solch eine Ausnahme: Ab dem 16. September wird - vorerst sechs Monate lang - an allen Landesgrenzen kontrolliert. Stationäre Grenzkontrollen gibt es aktuell an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz. Ab 16. September sollen sie auch an den übrigen Grenzen gelten - also zu Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Dänemark. Als Gründe für die Kontrollen hat Faeser neben der Begrenzung der irregulären Migration auch den Schutz der inneren Sicherheit vor aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität genannt.
Bedeuten mehr Grenzkontrollen, dass auch mehr Menschen zurückgewiesen werden?
Hier ist das EU-Recht ziemlich eindeutig: "Wer einen Asylantrag stellt, kann nicht zurückgewiesen werden", so Bauer. Hinzu kommt: Ein Asylantrag kann nicht nur auf deutschem Hoheitsgebiet gestellt werden, sondern bereits an der Grenze. Wenn die Bundespolizei also jemanden an der Grenze kontrolliert und er oder sie beantragt Schutz, muss die Sache an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitergeleitet werden. Der Antrag auf Asyl muss also immer geprüft werden.
Das gilt auch dann, wenn jemand in mehreren Ländern Asylanträge gestellt hat - unter anderem in Deutschland. "Mehr Grenzkontrollen heißt deshalb nicht automatisch, dass mehr Menschen zurückgewiesen werden – es kommt immer darauf an, ob jemand Asyl sucht und einen Antrag stellt", so Bauer.
Die österreichische Regierung hat bereits am Montag angekündigt, dass sie bei Faesers Plänen nicht mitmachen werden. "Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden", sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Da gibt es keinen Spielraum." Er habe den Chef der österreichischen Bundespolizei angewiesen, "keine Übernahmen durchzuführen". Karner verwies auf das Europarecht. Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellten, dürften nicht formlos an der Grenze zurückgewiesen werden.
Welche Regeln für Asylverfahren gelten derzeit in der EU?
Die sogenannte Dublin-III-Verordnung regelt, welches Land für ein Asylverfahren zuständig ist. Sie gilt für alle EU-Mitgliedsländer und zusätzlich noch für die Schweiz, Liechtenstein, Island und Norwegen. Das Ziel von Dublin-III: "Die persönlichen Hintergründe und Fluchtgeschichten sollen für jeden Antragsteller nur einmal ermittelt, geprüft und bewertet werden und nicht mehrfach", erläutert ARD-Rechtsexperte Philip Raillon. Geflüchtete sollen nicht innerhalb Europas weiterreisen und im nächsten Land einen neuen Antrag stellen können.
Konkret bedeutet Dublin: Wenn Geflüchtete in Deutschland beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Schutz beantragen, versuchen die Beamten herauszufinden, ob das Dublin-Verfahren greift. Also, ob für den Antragsteller ein anderes Land zuständig ist. Wenn ja, stellt das BAMF an dieses Land ein sogenanntes Übernahme-Ersuchen. Wenn das Mitgliedsland einverstanden ist, ordnet das BAMF die Überstellung an. Quasi eine Abschiebung. Dagegen kann sich der Geflüchtete gerichtlich wehren. Sobald das Gericht aber gegen ihn entscheidet, übernimmt die örtliche Ausländerbehörde zusammen mit der Bundespolizei die Überstellung, also die Abschiebung.
Was heißt das?
"Zu diesem Zeitpunkt ist nur klar, wer zuständig ist, nicht aber, ob der Antragsteller einen Anspruch auf Asyl hat oder nicht", so Raillon. Die Abschiebung geht daher auch nicht ins Heimatland, sondern in das andere Mitgliedsland.
Für die Überstellung haben die deutschen Behörden nur sechs Monate Zeit. Das ist eine feste Frist, damit das Verfahren insgesamt schnell geht. "Nur in besonderen Fällen verlängert sich diese Frist, zum Beispiel auf anderthalb Jahre, wenn der Geflüchtete sich gezielt der Abschiebung entzieht", sagt Raillon.
Was ist, wenn die Abschiebung in das andere Mitgliedsland nicht klappt?
Klappt die Abschiebung nicht rechtzeitig, wandert die Zuständigkeit für das Asylverfahren nach Deutschland. Dann muss das BAMF bei dem Antrag entscheiden, das andere Mitgliedsland ist nicht mehr zuständig. Das Dublin-Verfahren ist also formal klar geregelt. In der Praxis hakt es aber oftmals. In der ersten Jahreshälfte sind laut BAMF etwa 40.000 Übernahme-Ersuchen an andere Mitgliedstaaten gestellt worden. Zumindest in knapp 25.000 Fällen stimmten diese Staaten auch zu. Fälle, in denen also die Voraussetzungen für eine Überstellung vorlagen und die Staaten zur Aufnahme auch bereit waren. Und doch gab es im ersten Halbjahr nach dem Dublin-Verfahren nur rund 3.500 Abschiebungen.
Quellen:
- ARD-Rechtsexperte Philip Raillon im WDR
- ARD-Rechtsexperte Max Bauer im WDR
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP