Wer als Kassenpatientin oder -patient einen schnellen Termin beim Kardiologen, der Dermatologin oder dem Orthopäden braucht, muss oft geduldig sein. Wartezeiten von mehreren Monaten sind bei Fachärzten keine Seltenheit.
Ein spontaner Blick ins Buchungsportal zeigt: Für eine Privatversicherte ist der Termin beim Dermatologen schon Anfang Januar zu bekommen, Kassenpatienten warten hingegen sechs Wochen.
Und auch eine kleine Straßenumfrage des WDR zeigt, die Menschen in NRW kennen das Problem: Zwei Monate auf einen Termin beim Orthopäden zu warten, das wäre schon gut, erzählt ein Passant. "Es ist nicht einfach", sagt eine Frau und berichtet von einer sechsmonatigen Wartezeit auf einen Termin. Eine andere Passantin erzählt, dass sie regelmäßig ihre privatversicherten Familienmitglieder vorschicke, um sich dann dranzuhängen.
Gesetzliche Krankenkasse wollen Bevorzugung verbieten
Wohl auch mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl haben die gesetzlichen Krankenkassen nun eine neue Debatte über die Ungleichbehandlung losgetreten und fordern die nächste Bundesregierung auf, die Bevorzugung bei der Terminvergabe gesetzlich zu verbieten.
"Die Diskriminierung der gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten bei der Terminvergabe werden wir nicht länger hinnehmen", sagte die stellvertretende Verbandschefin Stefanie Stoff-Ahnis dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Der Ärzteverband reagierte auf die Forderung mit Unverständnis. Im Spiegel warf Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) den gesetzlichen Krankenkassen vor, zu Jahresbeginn eine "Neiddebatte" starten zu wollen. Daraufhin schaltete sich prompt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in die Debatte ein. "Wenn Privatversicherte schneller und besser versorgt werden als gesetzlich Versicherte, ist das keine Neiddebatte", so der SPD-Politiker auf Facebook.
Kassenpatienten decken nicht die Kosten
Wie kommt es überhaupt, dass Privatpatienten bevorzugt werden? Gesetzlich versicherte Patienten decken häufig nicht die Kosten. Ihre Behandlung wird mit einem Pauschalbetrag, der sogenannten Budgetierung abgedeckt. Damit ist gesetzlich festgelegt, welche Geldmenge pro Quartal ausgegeben werden darf. Der Topf für Kassenpatienten ist also gedeckelt. Für Ärzte macht es einen finanziellen Unterschied, wie ihre Patienten versichert sind.
Das Problem kennt auch der Kölner Neurologe Gereon Nelles. Er kann den allgemeinen Frust bei der Terminvergabe aus Patientensicht verstehen, aber aus Arztsicht sehe das anders aus. Denn: Wenn die gesetzlichen Krankenkassen die Gleichbehandlung von Patienten forderten, dann müsse auch die Honorierung gleich sein.
"Die Budgetierung muss unbedingt aufgehoben werden. Wo es keine Ungleichheit mehr in der Honorierung gibt, gibt es auch keine Anreize mehr, eine bestimmte Patientengruppe bei der Terminvergabe zu bevorzugen", sagte der Mediziner dem WDR.
Lösungsvorschläge: Mehr offene Sprechstunden, bessere Steuerung
Und was schlagen die Kritiker als Lösung vor? Andreas Philippi (SPD), Gesundheitsminister in Niedersachsen, schlägt laut Medienberichten zum Beispiel vor, offene Sprechstunden verpflichtend auszuweiten. Zudem sollten auch Privatpatienten bei Beschwerden in der Regel erst den Hausarzt, statt gleich einen Facharzt ansteuern.
KBV-Chef Andreas Gassen, der die Debatte um die ungerechte Terminvergabe so nicht stehen lassen will, sieht auch noch einen anderen Grund für längere Wartezeiten. Die freie Arztwahl führe dazu, dass besonders nachgefragte Praxen auch Wartezeiten hätten.
Helfen würde eine zielgerichtete Patientensteuerung über die Nummer 116 117, sagte Gassen im Spiegel und forderte mehr Geld, um den Dienst der Nummer auszubauen.
116 117 soll bei Terminfindung helfen
Der Patientenservice soll Kassenpatienten bei der Terminfindung helfen - am Telefon unter der Nummer 116 117 oder online. Hier finden gesetzlich Versicherte freie Termine bei niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten in Deutschland. Über 64.000 Praxen sind dort registriert, die 1,78 Millionen Termine im Jahr einstellen.
Patienten könnten sich aber auch an ihre Krankenkassen wenden, erklärt Birgit Eger aus der WDR-Wirtschaftsredaktion. "Die gesetzlichen Kassen können dann auf Ärzte zurückgreifen, mit denen sie eine Vereinbarung getroffen haben, wo es dann vielleicht schneller einen freien Termin gibt."
Ein Haken an der Sache: Die Arztpraxis könne auch mal weiter weg sein und es ist eben nicht der vertraute Arzt, den man vielleicht schon kennt.
Unsere Quellen:
- Interview mit dem Neurologen Gereon Nelles
- Bundeskassenärztliche Vereinigung
- Nachrichtenagentur dpa
- Facebook-Post von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach