Wenn das mal keine Erfolgsgeschichte ist: Seit seiner Premiere 2005 erlebte das Violinkonzert von Thomas Adès schon Hunderte von Aufführungen weltweit. Damit gehört es zu den beliebtesten Solokonzerten der Gegenwart überhaupt. 2010 wurde es sogar als Ballett choreografiert.
Komponist Thomas Adès
Seinen Durchbruch schaffte der in London aufgewachsene Adès 1995 mit der Oper "Powder Her Face", einer schrillen Innenansicht des britischen Adels. In Deutschland wurde man spätestens 2002 auf ihn aufmerksam, als Simon Rattle sein Berliner Antrittskonzert mit dem viersätzigen "Asyla" eröffnete. Seitdem gilt der Schüler von György Kurtág als einer der führenden Komponisten seiner Generation, mit Preisen und Auftragsarbeiten geradezu überhäuft. Auch das Violinkonzert verdankt sich einem Kompositionsauftrag, an dem unter anderem die Berliner Festspiele und das Los Angeles Philharmonic beteiligt waren. Die Uraufführung im September 2005 bestritt der US-amerikanische Geiger Anthony Marwood; nach ihm war es dann aber schon Pekka Kuusisto, der sich des Werks annahm, und zwar zusammen mit dem heutigen Chefdirigenten des WDR Sinfonieorchesters, Jukka-Pekka Saraste.
Die Kombination von Zirkularität mit Linearität
Auf den ersten Blick stechen die traditionellen Züge des Konzerts ins Auge: Zwei schnelle Sätze umrahmen einen langsamen. Bloß die Proportionen stimmen nicht. Weil der Mittelsatz deutlich länger und gewichtiger ist als die beiden anderen, bildet er gewissermaßen das Kraftzentrum des Werks. Adès selbst gebrauchte das Bild eines Triptychons, bei dem zwei schmalere Seitenbilder das Hauptstück in der Mitte flankieren.
Den beiden Außensätzen gemeinsam ist ihr ruheloser Charakter. Im ersten dominiert die Solo-Violine mit weit ausholenden Sechzehntelketten, die wie vielfach verschlungene Bänder von Instrument zu Instrument weitergereicht werden. Im Schlusssatz sind es eher kleinschrittig kreisende Bewegungen im Orchester, zu denen sich die Geige mit einer langgezogenen Melodie aussingt.
Ganz anders der Mittelsatz: eine düstere Passacaglia, in der die Zeit anfangs stillzustehen scheint. Die vom Solisten zu Beginn präsentierten 14 Akkorde werden unendlich langsam wiederholt, dabei allmählich verdichtet und intensiviert, bis das Geschehen auf dem Höhepunkt gleichsam implodiert. Diesem "Nullpunkt" schließt sich ein langer, in Wellen angelegter Abgesang an, der von den höchsten Geigentönen (gis4) bis zu ihrem tiefstmöglichen (g) führt.
Konzentrische Wege: Lichtspuren, die sich explosionsartig ausbreiten
So gegensätzlich Mittelsatz und Außensätze auch sind, haben sie doch etwas Wesentliches gemeinsam, angedeutet im Werktitel. "Konzentrische Wege" – dahinter verbirgt sich das Konzept, Zirkularität mit Linearität zu kombinieren. Einfacher gesprochen: kreisförmige Abläufe in den Fluss der Zeit zu integrieren. Im 1. Satz, "Rings" ("Ringe"), geschieht dies durch den Perpetuum-mobile-Charakter der Musik, im 2. Satz, "Paths" ("Wege"), durch die unablässig wiederkehrende Akkordfolge der Passacaglia und in "Rounds" ("Runden") durch das zugrunde liegende Rondo- oder Refrainmodell. Um es in Adès’ Worten zu sagen: Der Mittelsatz "besteht aus zwei großen und sehr vielen kleinen, unabhängigen Kreisen, die sich überlappen und aufeinanderprallen", aber auch die Außensätze "sind in Kreisen angelegt, der erste rasch, mit Passagen instabiler Harmonie in verschiedenen Zonen, der dritte spielerisch, mit stabilen Kreisen, die sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten harmonisch drehen".