George Enescu
George Enescu gilt noch heute als Komponist eines One-Hit-Wonders: der "Rumänischen Rhapsodie" op. 11 Nr. 1, die Cristian Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester im Oktober letzten Jahres vorgestellt haben. Man könnte Enescu dadurch generell für einen Komponisten von folkloristisch gefärbter Musik halten. Damit aber wird man ihm alles andere als gerecht. Angefangen hat der Rumäne als Wunderkind auf der Violine, und zeit seines Lebens wurde er primär als Geiger wahrgenommen. Die Namen seiner Schüler verraten seinen Rang – um nur zwei von ihnen zu nennen: Arthur Grumiaux und Yehudi Menuhin.
Dieses populäre Bild von Enescu verdeckt seine tatsächliche Größe als Komponist. Seine Werke entziehen sich einer stilistisch klaren Linie: mal folkloristisch, mal spätromantisch, mal konstruktivistisch und schwer zugänglich – und das teilweise innerhalb ein und desselben Werkes. So auch in seiner Orchester-Suite Nr. 1: Enescu komponierte sie mit Anfang zwanzig, und in den Sätzen 2 bis 4 geistert das Vorbild Wagner stark durch die Musik. Welch einen Unterschied bietet hier der erste Satz, das "Prélude à l‘unisson". Hinter dem seltenen Zusatz "à l‘unisson" verbirgt sich die französische Bezeichnung für ein etwa siebenminütiges Unisono der Streicher. Hier zeigt sich, was Enescu auch in seinen späteren Kompositionen auszeichnen wird: Experimentierfreude, Kühnheit, Mut, Selbstbewusstsein – und konstruktives Kalkül. Die eindeutig der rumänischen Volksmusik abgelauschte Linie klingt wie eine sich stetig fortspinnende nachdenkliche Klage. Und doch verbirgt sich hinter ihrem wie improvisiert wirkenden Verlauf eine streng nach der Fibonacci-Reihe gebaute Form. Musik zum Entdecken und Staunen.