In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen sich in der Musikwelt zwei Lager gegenüber: auf der einen Seite die Verfechter einer absoluten Musik rund um Johannes Brahms und auf der anderen die sogenannte Neudeutsche Schule um Franz Liszt und Richard Wagner, die sich das Ideal der Programmmusik auf die Fahnen geschrieben hatte. Zu dieser Zeit war es kaum möglich, sich als Komponist beiden Idealen zu öffnen. Man hatte sich zu entscheiden. Für den Finnen Jean Sibelius stellte sich die Situation um 1900 ganz anders dar: Ohne von missgünstigen Kollegen kritisch beäugt zu werden, konnte er sich aus beiden ästhetischen Grundideen die für ihn passenden Elemente aneignen. So schrieb er anfangs viel absolute Musik, bald aber auch Werke, in denen er außermusikalische Programme in Musik setzte. Vor allem das finnische Nationalepos "Kalevala " hat ihn zu vielen Kompositionen angeregt, 1892 etwa zu seiner großen Programmsinfonie "Kullervo". Im Jahr 1898 schwirrte Sibelius die Idee zu einer weiteren programmatischen Sinfonie im Kopf herum. Die inhaltliche Gestaltung war kühn: Es sollte ein "musikalischer Dialog" in vier Sätzen werden, mit folgenden Überschriften: I. "Vom Meer weht ein kalter, kalter Wind", II. "Heine (Der nordische Fichtenbaum träumt von der Palme des Südens)", III. "Wintermärchen", und IV. "Jormas Himmel". Und was tat Sibelius? Er zog plötzlich die Reißleine und komponierte seine rein musikalisch gedachte erste Sinfonie. Er scheint eine Grundsatzentscheidung getroffen zu haben: Seine Sinfonien, so Sibelius, seien allein "erdacht und ausgearbeitet als Ausdruck der Musik, ohne irgendwelche literarische Grundlage."
Seine Erste vollendete Sibelius 1899 in der finnischen Heimat. Deutlich zu hören ist hier noch das Vorbild Tschaikowsky. Aber ganz klar: In diesem Erstling meldet sich ein Sinfoniker von Gnaden zu Wort, eigenwillig – und mutig in seiner Konsequenz, das von ihm erdachte musikalische Material in der ihm eigenen Logik zu sinfonischer Gestalt werden zu lassen.