Temporäre Festnahme in Ankara
Türkei: Ermittlungsverfahren gegen WDR-Redakteur eingestellt
Stand: 21.12.2023, 16:23 Uhr
Der WDR-Redakteur Tuncay Özdamar war bei einem Familienbesuch in der Türkei temporär festgenommen worden. Gegen ihn waren Vorwürfe nach einem Anti-Terror-Gesetz vorgebracht worden, die mit Blick auf die Ermittlungsakte geradezu grotesk anmuteten. Nun wurde das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt.
Von Samuel Acker
Ein Ermittlungsverfahren einer Istanbuler Staatsanwaltschaft gegen Tuncay Özdamar, Leiter der türkischen Redaktion bei WDR COSMO, ist eingestellt worden. Das erfuhr Özdamar nach eigenen Angaben zu Wochenbeginn von seinem Anwalt in Istanbul, dem Menschenrechts-Juristen Veysel Ok. Özdamar war am frühen Morgen des 30. September bei seiner Einreise in die Türkei für eine Privatreise am Flughafen Ankara temporär festgenommen worden. Ihm wurde nach einem Abschnitt eines türkischen Anti-Terror-Gesetzes vorgeworfen, er habe "eine Person die in der Terrorismusbekämpfung aktiv ist zur Zielscheibe" gemacht.
Özdamar musste eine Nacht in einer Arrestzelle verbringen. Nach einer Anhörung vor einem türkischen Staatsanwalt via Videoschalte wurde er noch am 30. September freigelassen und konnte am 6. Oktober aus der Türkei nach Deutschland ausfliegen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn bestand jedoch weiterhin fort. Özdamar besitzt seit etwa 20 Jahren ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft.
Özdamar wurden von der türkischen Justiz zwei Tweets aus dem Jahr 2018 zur Last gelegt, bei denen er Personalveränderungen bei der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" thematisiert hatte. Ein Zusammenhang zum türkischen Anti-Terror-Kampf ist bei den Tweets nicht erkennbar. WDR COSMO konnte über Özdamars Anwalt Veysel Ok Unterlagen der Ermittlungsakte einsehen. Diese legen den Verdacht nahe, dass Tuncay Özdamar ins Visier der türkischen Justiz geraten ist, weil Ermittler die Plattform Twitter (heute X) grob nach dem Namen eines wichtigen türkischen Richters durchsucht zu haben scheinen. Dieser Richter war online die Zielscheibe von harter Kritik, teils auch Beleidigungen geworden.
Dieser Jurist heißt "Murat Erten". In Özdamars Tweets wurden die Journalisten "Murat Sabuncu" und "Bagis Erten" erwähnt. Anscheinend, dies legen Screenshots aus der Ermittlungsakte nahe, stießen Ermittler aufgrund der Suchwörter "Murat" und "Erten" auf Özdamars Tweets. Es ist zu vermuten, dass Ermittlungen gegen Özdamar aufgenommen wurden und sogar ein Haftbefehl ausgestellt wurde, ohne dass dabei darauf geachtet wurde, dass Özdamar den Richter "Murat Erten" nicht erwähnt und auch der Kontext des Tweets nichts mit dem Juristen zu tun hat. Zudem wurde, dies legt ein Dokument aus der Ermittlungsakte nahe, erst am 2. Oktober, zwei Tage nach der Festnahme Özdamars, eine Übersetzung der Tweets beantragt.
Mehrere Anfragen zum Ermittlungsverfahren gegen Özdamar von COSMO an die zuständige Istanbuler Staatsanwaltschaft sowie an verschiedene Stellen im türkischen Justizsystem und des türkischen Außenministeriums blieben unbeantwortet.
Keine Worte des Bedauerns vom Staatsanwalt
Die schriftliche Erklärung aus Istanbul zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens liegt dem WDR vor. Der zuständige Staatsanwalt äußert darin keine Worte des Bedauerns darüber, dass Özdamar festgenommen wurde. Auch auf mögliche Fehler oder Ungenauigkeiten in den Ermittlungen wird nicht eingegangen. Das Dokument ist auf den 30. November 2023 datiert - einen Tag vorher hatte WDR COSMO die Festnahme Özdamars und das türkische Ermittlungsverfahren gegen ihn publik gemacht und die Recherchen zu seiner Ermittlungsakte veröffentlicht.
Tuncay Özdamar sagt zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen ihn:
Dennoch sagt Özdamar: "Wer weiß, welche Vorwürfe bei meiner nächsten Einreise kommen. Das türkische Justizsystem erweckt derzeit kein Vertrauen bei mir." Seine komplette Familie lebe in der Türkei, eigentlich würde er sehr gerne bald wieder seine kranke Mutter dort besuchen. Aktuell sähe er aber aus Sicherheitsgründen davon ab. Selbst seine Familie rate ihm derzeit davon ab, die Türkei zu besuchen. "Das ist bitter, aber leider ist die Situation derzeit so."