"Leon" - Leon Bridges auf Sinnsuche mit Soul
Stand: 21.10.2024, 00:01 Uhr
Retro-Soul-Künstler Leon Bridges reist weiter in ein anderes Jahrzehnt. Er ist auf seinem neuen Album in der Klangwelt der 70er angekommen. Gleichzeitig begibt er sich auf Identitätssuche in seiner eigenen Biographie. "Leon" ist sein persönlichstes Album geworden – und sein ästhetischstes.
Von Marc Mühlenbrock
Wenn man als Musiker nicht sein erstes, sondern ein späteres Album nach sich selbst benennt, dann spricht einiges dafür, dass es sich dabei um eine Art Neuanfang handelt, oder um ein sehr persönliches Album. Beides ist bei "Leon“ d"r Fall. Sechs Jahre hat sich Leon Bridges für sein viertes Album Zeit gelassen, zwischendurch noch 2021 das eher kurzweilige „Gold-Diggers Sound“ herausgebracht. Damals merkte er, dass er die positiven R'n'B-Songs von einigen sehr persönlichen, klassischen Soul-Stücken trennen wollte, die nun auf "Leon" erscheinen. Für das neue Album begab er sich auf Sinnsuche, die ungefähr ein halbes Jahrzehnt nach Beginn der Arbeit in Mexico City enden sollte. Für Bridges ist die Multimillionenmetropole überraschenderweise – wie er in der ersten Single singt – ein „Peaceful Place“. Weil er dort losgelöst von Altlasten frei auf – und das Album einspielen konnte.
In der Schublade
Bekannt geworden ist Leon Bridges 2015. Sein Debüt-Album "Coming Home"“ war in Sound und Artwork ein Retro-Trip in die goldene Zeit des Soul, in die Motown-Ära der 60er Jahre. Das Album wurde ein Erfolg, doch fortan galt Bridges als Retro-Künstler. Ein Image, das er auch mit dem Folge-Album "Good Thing2 2018 nicht ablegen konnte. Leon Bridges wollte dieser Schublade entfliehen und mehr Facetten zeigen. Auf "Gold-Diggers Sound" reiste er nicht mehr zurück in die 60er, sondern in die 90er, in die R'n'B-Ära, die Musik seiner Kindheit.
Zurück in Texas
Aufgewachsen ist Leon Bridges in Fort Worth, Texas. Seiner Heimatstadt hat er auf seinem neuen Album einen Song gewidmet: "Panther City" ist der Spitzname von Fort Worth. Der Legende nach geht er zurück auf einen Gast aus dem ungleich hektischeren Dallas, der nach einem Besuch in der Nachbarstadt sagte, diese sei so entspannt, dass sogar ein Panther auf der Straße schlafen könne. Noch näher dran an Leon Bridges' Biographie und seiner Heimat ist das Eröffnungsstück des Albums "When a Man Cries". Die Abhandlung über das Aufwachsen mit toxischer Männlichkeit in einer schwarzen Community ist Leon Bridges' persönlicher Favorit auf der Platte.
Musikalische Zeitreise
Für den Klang des Albums reist er mit der Zeitmaschine diesmal in ein anderes Jahrzehnt. "Leon" klingt nach 70er Jahre Soul – und damit paradoxerweise auch zeitloser als seine bisherigen Alben, weil der Soul der 70er klassischer und weniger in seiner Zeit verhaftet ist. Es gibt kein Vinyl-Knistern wie auf "Coming Home" und keine Drum Machine wie auf "Gold-Diggers Sound". Stattdessen einfach nur eine warme Produktion aus der letzten Ära, in der analoge Instrumente und Aufnahmetechniken State of the Art waren. "That's What I Love" wird von Streichern geprägt, "Simplify" ist eine Klavierballade, "Ivy" ein sonniges Stück mit Akustik-Gitarre. Überraschend sind das von Percussion getriebene "Peaceful Place" und die Slide Guitar im abschließenden "God Loves Everyone". Aber beides passt stilecht in die 70er. Und zu dem Soul-Sound, den Leon Bridges erschaffen wollte. Klassisch, analog und bei allen Retro-Anleihen auch zeitlos.