Konstantin Wecker wollte den Artikel 7 gerne mit seinem Lied "An meine Kinder" kommentieren. Zusätzlich hat WDR 3 ihn gefragt, warum er dieses Lied ausgewählt hat und wie er persönlich zum Schulwesen steht. Der folgende Text ist aus diesem Gespräch entstanden.
Je älter ich werde, desto mehr frage ich mich, ob Schule überhaupt nicht insgesamt abgeschafft werden müsste und man sich andere Modelle überlegen sollte – die es ja auch schon gibt zum Teil, auch in Amerika. Und auch hier gibt es sehr schöne spannende Modelle zu lehren, zu unterrichten - ohne das, was wir unter Schule verstehen. Also zum Beispiel den Kindern auch einmal von Anfang an selbst zu überlassen, was sie spielerisch entdecken wollen. Auf jeden Fall kein Gehorsam mehr. Ich bin ein erbitterter Gegner des Gehorsams und mein leider verstorbener, guter, bewunderter Freund Arno Grün hat sein letztes kleines Büchlein genannt "Wider den Gehorsam". Er meinte auch als Resümee seines Lebens, das sei ein ganz entscheidender Schritt – den Gehorsam zu verweigern.
"Schulpflicht ist für mich etwas leicht Grenzwertiges"
Und ich bin auch nicht einverstanden mit diesen beiden Artikeln – nicht ganz. Dass das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht. Es ist gut, dass es für arme Kinder Schule gibt, dass man ihnen Schule ermöglichen kann. Schon die Schulpflicht ist für mich etwas leicht Grenzwertiges. Ich hab ein Problem mit Gehorsam und in der Schule wird natürlich in einer gewissen Weise schon von Anfang an ein Gehorsam eingefordert. Am allerschlimmsten ist der Gehorsam natürlich beim Militär. Wo man sieht, wie sinnlos das ist. Und ich komme über meine alten anarchistischen Wurzeln nicht hinweg. Ich will auch nicht hinwegkommen.
"Ich hätte meine Kinder gerne frei unterrichten lassen"
Ich hätte zum Beispiel gerne meine Kinder – was nicht geht in Deutschland – ich hätte sie gerne frei unterrichten lassen. Ich habe tolle Lehrer, auch Lehrerinnen gekannt, die in Pension waren oder die auch ein Problem mit dem Schulwesen hatten. Es ist halt nicht möglich. In Österreich geht es.
"Man hat uns nicht an die Schönheit der Mathematik hingeführt"
Es liegt natürlich sehr viel an den Lehrern, wie sie das auslegen, was ihnen da vorgegeben wird und es gibt nach wie vor sehr tolle Lehrer. Auch ich habe, obwohl ich zuerst einmal nur lauter Nazis hatte als kleiner Junge, aber dann die ersten Referendare – da waren großartige Lehrer dabei. Überhaupt keine Frage. Ein Beispiel, dass ich bei ganz vielen meiner Freunde entdecke: Bei uns ist in der Mathematik so viel falsch gemacht worden. Wir sind, also ich und meine Freunde, wir sind wahrhaftig keine mathematischen Deppen, aber wir wurden zu welchen gemacht. Der Unterricht war einfach verkehrt. Man hat uns nicht an die Schönheit der Mathematik hingeführt. Und da gibt es viele viele Beispiele. Auch wenn ich über die Literatur spreche. Ich liebte immer Gedichte – und wenn dann im Deutschunterricht der Lehrer irgendwann sagte: So, Müller und jetzt tragen sie mal den Rilke vor: "Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe schön so müd 'geworden, dass ihn nix mehr hält." Ja, vergeht es jedem. Wäre der Lehrer auch ein begeisterter Lyrikleser, würde vielleicht auch mal Unterricht nehmen, einen kleinen Schauspielunterricht vielleicht, dann könnte er es den Kindern so vorlesen, dass man es ihnen schmackhaft macht.
Wissenschaft und Kultur dürfen nutzlos sein
Aber wir sehen, wie sehr die Universitäten auch schon in den Zugriff des Neoliberalismus geraten. Es gibt sehr viele Wissenschaftler, die da berechtigt klagen. Was ist an der Wissenschaft, an der Kultur so schön? Dass sie auch nutzlos sein darf. Sie darf unnütz sein. Sie muss nicht immer nur zu etwas nützen und schon gar nicht nur zum Geldverdienen. Das ist immer die Chance gewesen. Einstein hat garantiert nicht die Relativitätstheorie erfunden, um damit viel Geld zu verdienen. Er kam darauf aus spielerischen Gründen, aus Lust am Entdecken. Und so sind die ganzen großen Werke und Entdeckungen auch passiert in der Menschheitsgeschichte. Nicht, um daraus dann einen Nutzen zu haben. Natürlich nützt es uns jetzt in vielen Dingen, aber das war nicht das Ziel der Sache.
"Kinder nicht zu kleinen Untertanen erziehen"
Wir dürfen Kinder nicht zu kleinen Untertanen erziehen und ich glaube, das ist die Hauptgefahr – auch an der Schule. Es ist mir klar, dass wir hier in einem demokratischen Staat leben, der gefährdet ist, wie sehr viele demokratische Staaten, aber wir können sehr viel tun. Wir können auch mit dem, was uns da gegeben ist mit sehr viel Begeisterung und Idealismus und einer tollen Zivilgesellschaft - können wir nach wie vor noch sehr viel erreichen. Wir müssen es nur ein bisschen in die Hand nehmen. Wir können es nicht einfach laufen lassen.
Und als ich die Zeilen geschrieben habe:
Ich wollte euch nie erziehen.
Erziehen zu was? Zum Ehrgeiz? Zur Gier?
Zum Chef im richtigen Lager?
Ihr wisst es, ich habe ein großes Herz
für Träumer und Versager.
Dass das eigentlich der Weg war, wie mein Vater mich erzogen, in Anführungszeichen, hat. Die Mama war etwas strenger, war auch ehrgeiziger. Das war vielleicht eine ganz gute Mischung. Mein Vater war ein erstaunlich antiautoritärer Mann. 1914 geboren, ein Wunder: kein Militarist und sogar ein Kriegsdienstverweigerer. Ein großartiger Mensch und er hat mich nie erzogen. Ich hab mich an ihm orientiert, er hat mir sehr schöne weise Sprüche gesagt. Nicht weil er weise sein wollte, sondern weil er weise war – sehr einfache. An was ich mich erinnern kann, ist zum Beispiel, als ich ihn gefragt habe: "Papa, was ist Ewigkeit?" Da sagte er: "Da kann ich dir nichts zu sagen. Frag' einen Baum, der ist älter, der weiß mehr davon – oder einen Stein."
So in dieser Art hat er mich erzogen, indem er mich nicht erzogen hat. Und ich habe, in voller Übereinkunft mit meiner Frau, meine Kinder eigentlich auch nicht erzogen.
Das Gespräch führte Conny Crumbach
An meine Kinder
Jetzt seid ihr schon groß und bald aus dem Haus,
die Kindheit ist so schnell vergangen.
Für die Eltern ist deshalb nicht alles aus,
die haben noch andre Verlangen.
Obwohl, ich hätte so manchen Moment
liebend gerne fester gehalten.
Doch man kann sich die Flüchtigkeit der Zeit
nicht nach eigenem Willen gestalten.
Was kann ich euch mitgeben auf diesen Weg
den ihr nun ganz alleine bestreitet?
Die Hoffnung, dass euch mit jedem Schritt
stets meine Liebe begleitet.
Ich hab’s nun mal nicht so mit der Moral
wann sind Kinder gut, wann böse?
Kinder sind schuldlos, haltet sie frei
vom Moralismusgetöse.
Ihr seid ein Wunder. Wie jeder Mensch
geboren aus dem absolut Schönen.
Und die Welt sähe so viel friedlicher aus,
könnt’ man sich daran gewöhnen.
Ich war nie perfekt. Wie könnte ich auch.
Ihr kennt meine Kunst zu scheitern.
Und perfekte Eltern konnten uns doch
im besten Fall nur erheitern.
Was hab ich falsch, was richtig gemacht?
Ihr wart mir doch nur geliehen.
Ich rede nicht gern um den heißen Brei:
ich wollte euch nie erziehen.
Erziehen zu was? Zum Ehrgeiz, zur Gier?
Zum Chef im richtigen Lager?
Ihr wisst es, ich habe ein grosses Herz
für Träumer und Versager.
Einen einzigen, großen Wunsch hätte ich noch,
da seid mit mir bitte konform:
egal was sie dir versprechen, mein Kind,
trag nie eine Uniform.
Es wird nicht leicht. Die Zeiten sind hart.
Es knarzt mächtig im Getriebe.
Ich hoffe euch trägt auch durch Not und Pein
bedingungslos meine Liebe.
Das ist alles was ich verschenken kann,
keine prall gefüllten Konten.
Und Augenblicke der Schönheit, da wir
zusammen uns glücklich sonnten.
(Text und Musik: Konstantin Wecker)