Lebenswendefeiern gibt es in Halle an der Saale schon seit 10 Jahren und sie erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Und das Besondere: eine katholische Gemeinde, nämlich die von der Moritzkirche, hat damit angefangen. Ursprünglich hatten in Halle Eltern an einer katholischen Schule eine solche Feier gewünscht. Schon bald übernahm Diakon Reinhard Feuersträter von der katholischen Moritzkirchen-Gemeinde die Organisation. Er ist im Hauptberuf Krankenhausseelsorger. Die Jugendlichen begleitet er nun schon seit 8 Jahren ehrenamtlich. Er sagt, er habe mit 20 Jugendlichen angefangen, mittlerweile aber seien die Schüler von insgesamt 16 weiterführende Schulen dabei.
Erfolgsmodell in kirchenfernem Land
Ein solches Fest für nichtchristliche Jugendliche gibt es bisher nur in Ostdeutschland. Insgesamt 1000 Jugendliche haben sich in diesem Jahr dazu angemeldet in Berlin, Dresden, Erfurt und Halle. In Halle sind es allein 500. Damit ist die Stadt geradezu ein Zentrum für Lebenswendefeiern. Reinhard Feuersträter erklärt sich die zunehmende Nachfrage damit, dass immer mehr Eltern, die Jugendweihe als überholt betrachten. Er sagt, sie verbänden Jugendweihe immer noch mit der alten DDR und sähen darin das Gelöbnis auf den Staat. Deswegen suchten sie nach Alternativen.
Die Jugendlichen und ihre Eltern kommen festlich gekleidet zur Moritzkirche. Sie sind etwas nervös, denn sie wollen in der voll besetzten Kirche mitteilen, wie sie auf ihre Kindheit zurück schauen und was sie sich für die Zukunft wünschen. Am Schluss lassen sie sich sogar segnen. Den kirchlichen Rahmen empfinden sie als stimmungsvoll und zugewandt: "In ner Kirche ist es auch viel schöner", sagt ein junge Frau.
Christ werden nein – aber gern mit kirchlichem Segen feiern
Wohl wegen der kirchenfeindlichen Politik der DDR sind heute 75 Prozent der Ostdeutschen konfessionslos. Das heißt aber nicht, dass sie gegen Kirche sind. Die Familien, die in die Kirche kommen, lehnen das Christentum nicht ab, wollen aber auch nicht bekehrt werden, sagt ein Vater. Reinhard Feuersträter spielt mit offenen Karten. Die Feiernden sind ohne Bedingungen willkommen. Es gibt keine stillschweigende Erwartung, dass die Teilnehmer sich taufen lassen. Er hält aber auch nicht mit seinem Glauben hinter dem Berg. Er möchte den Jugendlichen einen Segen mit auf den Weg geben, betont jedoch: "Es ist kein verkappter Gottesdienst!" Alles werde im Vorfeld besprochen.
Die evangelische Kirche fürchtet Verwechselbarkeit
Als kleine Minderheit im kirchenfernen Umfeld Ostdeutschlands bewegt die katholische Kirche sich aktiver als die größere evangelische Schwester-Kirche. Von 1000 Lebenswendefeiern werden 900 in der katholischen Kirche gefeiert. Die evangelische Kirchenspitze in Deutschland zeigt sich zurückhaltend. Sie betrachtet religiöse Jugendfeiern in ihrem Verhältnis zur Konfirmation. Und die Konfirmationsarbeit - so Birgit Sendler-Koschel, Leiterin der Bildungsabteilung der EKD - bleibe weiterhin Schwerpunkt der evangelischen Jugendarbeit. Schließlich richte auch die Konfirmation sich an Ungetaufte. Diese jungen Leute müssten allerdings während der Vorbereitungszeit getauft werden, sonst sei die Konfirmation nicht möglich. Jugendliche also, die sich nicht taufen lassen wollen, werden zur Konfirmation nicht zugelassen. Das schreckt die meisten natürlich ab. Die katholische Kirche dagegen sieht kein Problem darin neben das Sakrament der Firmung eine weitere Feier zu stellen. Beide werden als Ergänzung und nicht als Konkurrenz gesehen. Auf der evangelischen Seite sind beide Feiern jedoch schwerer voneinander abzugrenzen.
Den unterschiedlichen Umgang der katholischen und der evangelischen Kirche mit den Jugendfeiern sieht Handke theologisch begründet. In der katholischen Kirche ist die Firmung ein Sakrament. Die Lebenswendefeier ist somit etwas völlig anderes und keine Konkurrenz zur Firmung. Darum ist die katholische Kirche freier, auch die Alternative anzubieten. Die Konfirmation ist in der evangelischen Kirche kein Sakrament und schwerer von religiösen Jugendfeiern abzugrenzen. Die evangelische Theologin Emilia Handke forscht an der Uni Halle über die Lebenswendefeiern und meint, die evangelische Kirche sehe zu Recht die Gefahr, dass getaufte Jugendliche die Alternative vorziehen. Dennoch hat die evangelische Kreissynode des Kirchenkreises Halle-Saalkreis diese Angst offenbar überwunden. In ihrem Beschluss vom 25. April heißt es: "Die Kreissynode würdigt ausdrücklich die Feiern, die durch die Katholische Kirche in Halle mit wachsenden Teilnehmerzahlen angeboten werden. Die Kreissynode spricht sich dafür aus, sich auf dem Gebiet des Kirchenkreises an der Vorbereitung und Gestaltung von Religiösen Jugendfeiern zu beteiligen. Dabei sollen die Verantwortlichen dafür sorgen, dass diese Feiern im ökumenischen Miteinander geschehen."
In Zukunft gemeinsamer Dienst an den Fernstehenden
Reinhard Feuersträter freut sich darauf, im nächsten Jahr zusammen mit der evangelischen Kirche nicht-christliche Jugendliche zu ihrem Lebenswendefest zu begleiten. Er hat einen guten Draht zu den Jugendlichen und so soll es auch bleiben. Er sagt: "Ich finde aus Angst davor, dass sich Jugendliche nicht mehr firmen oder konfirmieren lassen können wir ja nicht einfach wegschauen und gar kein Angebot mehr haben. Dann verlieren wir völlig die Nähe zu den Jugendlichen. Viele der Menschen hier in diesem Teil Deutschlands haben Kirche erst gar nicht kennengelernt. Und sie erleben jetzt plötzlich, an bestimmten Schnittstellen des Lebens interessiert sich Kirche für uns und fragt nicht erst nach der Mitgliedschaft."
Redaktion: Theo Dierkes