"Er drängte sich nie vor, aber machte dann aus jeder Nebenrolle eine Hauptfigur", sagt Theaterregisseur Claus Peymann über Otto Sander, den er 1968 ins Ensemble der Freien Volksbühne Berlin holt. Da hat Sander bereits erste Engagements in Düsseldorf und Heidelberg sowie an Privat- und Kleinkunstbühnen in München.
In den folgenden Jahren wird er zu einem der gefragtesten Darsteller Deutschlands. Sanders Entscheidung für die Schauspielerei ist allerdings eine Art Flucht nach vorne.
Schauspiel als Befreiung
In seiner Kindheit hänseln ihn die Klassenkameraden wegen seiner roten Haare und Sommersprossen. Sander bekennt, er habe schon mit sechs unter einer bedrückenden Scham gelitten. Muss er einen vollen Raum durchqueren, spüre er die Blicke der Leute. "Ich hab' oft Angst. Auf Ämtern, vor Polizisten, vor großen, starken Menschen, vor Hunden, vor frechen kleinen Kindern."
Im echten Leben begibt sich Sander ungern in beklemmende Situationen, auf der Bühne aber umso mehr. "Das Schöne am Theater ist, dass man da spielend die Probleme lösen kann." Dabei haftet seinem Spiel immer eine Melancholie an, der er auch durch seine markante tiefe Stimme Ausdruck verleiht.
Sander wird am 30. Juni 1941 in Hannover geboren. Nach dem Abitur leistet er Wehrdienst bei der Bundesmarine und bleibt dem Meer auch danach verbunden: als passionierter Segler und später als "Bootschafter" der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Ab 1963 nimmt er Schauspielunterricht in München. Doch wegen "ungebührlichen Verhaltens" wird Sander der Schule verwiesen. Er muss die Abschlussprüfung als Externer nachholen - mit Erfolg.
Von Engel bis alkoholkranker Trompeter
Unter Peymann schafft er als Fritzchen in der Komödie "Sonntags am Meer" den Durchbruch. 1970 wechselt er zu Peter Steins Schaubühne, die in den 70er-Jahren zu einem der weltbesten Theater avanciert - auch dank Schauspielgrößen wie Bruno Ganz, Jutta Lampe und eben Otto Sander.
Auf der Leinwand ist Sander ebenfalls präsent: als preußisch-strenger Junker in "Die Marquise von O", als alkoholkranker Trompeter Meyn in "Die Blechtrommel", als Kapitänleutnant Thomsen in "Das Boot" oder als Engel Cassiel in "Der Himmel über Berlin". Als Ziehvater von Meret und Ben Becker steht er auch häufig mit beiden gemeinsam vor der Kamera oder auf der Bühne. Der profilierte Schauspieler wird mehrfach ausgezeichnet. Er erhält unter anderem den Deutschen Kritikerpreis (1979, 1999), den Adolf-Grimme-Preis (1995) und die Berlinale Kamera (2008).
Daneben ist Sander auch als Synchron- und Hörspielsprecher sehr gefragt und veranstaltet regelmäßig Lesungen. Über Jahre tritt er mit seinem Joachim-Ringelnatz-Programm auf - zuletzt kurz vor seinem Tod 2013. Sander stirbt im Alter von 72 Jahren in Berlin an Krebs.
Autor des Hörfunkbeitrags: Jürgen Werth
Redaktion: Hildegard Schulte
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