Hiroshima, 6. August 1945: Um 8.13 Uhr taucht der amerikanische "B-29"-Bomber "Enola Gay" am Horizont auf. An Bord ein einziger Sprengkörper: "Little Boy". Zwei Minuten später öffnet sich in knapp 9.500 Meter Höhe der Schacht über dem Zielpunkt, eine der zahlreichen Brücken der japanischen Stadt. 43 Sekunden später detoniert die erste Atombombe über bewohntem Gebiet. Über 80.000 Menschen werden sofort getötet, Tausende sterben in den kommenden Jahrzehnten an Leukämie und anderen Krebsarten.
Erst einige Wochen später wird bekannt, wer den Bomber kommandiert und gesteuert hat. Er ist der 30 Jahre alte Oberst Paul Warfield Tibbets junior, der am 23. Februar 1915 in Quincy im US-Bundesstaat Illinois geboren wurde. "Ich hatte nie eine schlaflose Nacht", wiederholt er sein Leben lang auf die Frage, ob er sich nichts vorzuwerfen habe. "Ich hatte nie Zweifel, dass die Sache gerechtfertigt war." Sein Job sei es gewesen, "Atomkrieg zu führen". Dabei beruft sich Tibbets auf ein Gespräch mit US-Präsident Harry S. Truman: "Er sagte: 'Dass Sie diesen Auftrag geplant und durchgeführt haben, sollte Ihnen keine einzige schlaflose Nacht bereiten. Ich habe das entschieden - Sie hatten keine Wahl.'"
Einer der besten Piloten der US-Luftwaffe
Tibbets Weg zum Atomkrieger beginnt im Januar 1927 - mit dem Abwurf von Schokoriegeln. Der damals Elfjährige sitzt bei seinem ersten Flug in einem Doppeldecker hinter dem Piloten und lässt Werbe-Fallschirmchen auf den Strand von Miami Beach schweben. "Unbewusst entschied ich mit damals für eine Karriere am Himmel", sagt er später. Mit 13 Jahren wird Paul von seinem Vater, einem erfolgreichen Geschäftsmann, in eine Militärakademie gesteckt, wo er Gehorchen und Befehlen lernt. Nach fünf Jahren wird er Medizinstudent, bricht sein Studium jedoch 1936 ab und bewirbt sich bei der Luftwaffe. Seine privaten Flugstunden erleichtern ihm die Aufnahme.
Ab 1942 nimmt Tibbets an den Bombenangriffen gegen das von den Nazis besetzte Europa teil. Spektakuläre Lufteinsätze in Nordafrika und im Pazifik folgen. Es heißt, er sei der beste Pilot der US-Luftwaffe. Anfang 1943 wird Tibbets für ein Geheimprojekt in die USA zurückbeordert. Zunächst lässt er Riesenbomber vom Typ "B-29" so umrüsten, damit sie höher steigen können. Dann stellt er ein Bombengeschwader zusammen. Es geht um den Abwurf der Atombombe über Nazi-Deutschland - das seinerseits eine Atombombe entwickeln will. Doch die Deutschen kapitulieren im Mai 1945, noch bevor die erste atomare Testexplosion der Amerikaner in Neu-Mexiko Mitte Juli 1945 erfolgreich verläuft.
Karriere als Ein-Sterne-General
Obwohl der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ist, wird die Bombe in Asien eingesetzt: in Hiroshima und drei Tage später in Nagasaki. Damit soll Japans Kapitulation beschleunigt und gegenüber der Sowjetunion Stärke demonstriert werden. Beides ist unnötig: Japan hätte so oder so kapituliert, und Stalin kennt ohnehin sämtliche US-Atomgeheimnisse, dank eines Spions im mexikanischen Los Alamos.
Später bringt es Tibbets noch bis zum Ein-Sterne-General. In den 1960er Jahren soll er US-Militärattaché in Indien werden, doch dies verhindern dortige Proteste. Daraufhin wechselt er zu einer privaten Fluggesellschaft. Als zum 50. Jahrestag des Abwurfs in den USA eine Ausstellung geplant wird, bei der auch das Leid der japanischen Bevölkerung dargestellt werden soll, nimmt Tibbets Einfluss. Mit anderen setzt er eine glorifizierende Version durch: Die Erläuterungen entfallen. Am 1. November 2007 stirbt Paul Warfield Tibbets junior im Alter von 92 Jahren in Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Seine Asche wird nach seinem Willen über dem Ärmelkanal verstreut. Dort ist er im Zweiten Weltkrieg gern geflogen.
Stand: 23.02.2015
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