Nichts fürchten Briten mehr als eine Invasion ihrer Insel. Seit Wilhelm dem Eroberer ist das keinem Feind mehr gelungen. 1066 überquert der Herzog der Normandie den Ärmelkanal und entmachtet in der Schlacht bei Hastings die Angelsachsen. So werden die ersten Pläne zu einem Tunnel unter dem tückischen Meeresarm verständlicherweise in Frankreich ausgebrütet. 1802 ersinnt ein Bergwerksingenieur eine submarine Pferdekutschen-Linie. Napoleons Expansionsdrang sorgt allerdings auf britischer Seite rasch für ein Ende des kühnen Plans. Erst die seekranke Queen Victoria kann sich für einen Tunnel unter dem Kanal erwärmen. Als sich England und Frankreich 1875 endlich auf den Bau einer zweigleisigen Bahn-Röhre einigen, legt aber die britische Generalität ihr Veto gegen das Bauwerk ein.
Das gleiche Schicksal ereilt alle Tunnelpläne während der Nazi-Zeit. Im Juli 1964 dann verkünden beide Länder die feste Absicht, eine Eisenbahnverbindung mit zwei Haupt- und einer Versorgungsröhre graben zu wollen. Am 17. November 1973 unterzeichnen Staatspräsident Georges Pompidou und Premierminister Edward Heath das Abkommen über den Bau des Ärmelkanal-Tunnels. Die ersten Bohrungen werden noch im selben Jahr gestartet - und 1975 vom neuen britischen Premier Harold Wilson aus Kostengründen wieder gestoppt. Margaret Thatcher schließlich unterschreibt 1986 zusammen mit Francois Mitterand den Vertrag zum Bau des Eurotunnels. Die Eiserne Lady setzt aber durch, dass die gesamte Finanzierung des gigantischen Projekts von privaten Investoren übernommen wird. Rund sieben Milliarden Euro werden von Banken aufgebracht, weitere 1,28 Milliarden Euro bringt der Börsengang der Eurotunnel-Gesellschaft ein, bei einem Ausgabekurs von 5,34 Euro je Aktie.
Nach drei Jahren Bauzeit gelingt im Dezember 1990 der Durchbruch 40 Meter unter dem Grund des Ärmelkanals. Die Länge der Betonröhren zwischen Calais und Folkstone beträgt 50 Kilometer, davon 38 Kilometer unter Wasser. Das Verlegen der Gleise übernimmt die Heitkamp Ingenieur- und Kraftwerksbau GmbH in Herne. Noch einmal vergehen über drei Jahre, bis Königin Elizabeth II. und Francois Mitterand im Mai 1994 die interkontinentale Bahnlinie eröffnen können. Für die Betreibergesellschaft brechen nun schwere Zeiten an. Die Baukosten haben sich mit rund 15 Milliarden Euro beinahe verdoppelt, die Fahrgastzahlen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück und 1996 bricht der erste von inzwischen mehreren verheerenden Bränden im Tunnel aus. Mehrfach steht das Unternehmen Eurotunnel am Rande des Konkurses. Bei einem Schuldenstand von über neun Milliarden Euro kommt es 2004 zu einem Putsch der Kleinaktionäre. Sie setzen die britische Geschäftsführung ab und eine französische ein. 2007 ist die Aktie des Unternehmens an der Pariser Börse gerade noch knappe 50 Cent wert. Doch mit einem bescheidenen Plus von einer Million Euro fährt der Eurotunnel erstmals Gewinn ein.
Stand: 17.11.08