Der "Arabische Frühling" beginnt im Winter: Am 17. Dezember 2010 zündet sich der tunesische Gemüsehändler Mohammed Bouazizi selbst an. Zuvor hatten ihm die Behörden wegen einer fehlenden Lizenz seinen Stand geschlossen, mit dem er seine Familie finanziell absichern wollte. Seine Selbstverbrennung löst die ersten Proteste gegen die langjährige Führung in Tunis aus. Innerhalb weniger Wochen rumort es auch in den meisten anderen arabischen Ländern.
In Ägypten beginnt der Volksaufstand am 25. Januar 2011, als zehntausende Demonstranten in Kairo auf dem Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung, den Rücktritt der Regierung fordern. Das korrupte und autoritäre Regime von Hosni Mubarak setzt auf Härte. Die Sicherheitskräfte gehen von Anfang an massiv gegen die Proteste vor. Zunächst werden Facebook und Twitter gesperrt, dann das Internet und die Mobilfunknetze abgeschaltet.
Ausgangssperren in Kairo, Suez und Alexandria
Am vierten Tag eskaliert die Lage: Zehntausende Menschen gehen nach dem Freitagsgebet in Kairo und in anderen Städten auf die Straße und verlangen den Rücktritt von Präsident Mubarak. Die Regierung verhängt eine Ausgangssperre über die Hauptstadt Kairo, Suez und Alexandria. Doch die Opposition hält sich nicht daran. In Kairo brennt die Zentrale der Regierungspartei, die Armee rückt in die Stadtzentren vor, es kommt zu Unruhen mit vielen Toten.
Die Bevölkerung lässt sich dennoch nicht einschüchtern. Hunderttausende strömen täglich auf Tahrir-Platz. Mubarak macht schließlich am 1. Februar 2011 Zugeständnisse: "Ich sage ganz aufrichtig, dass ich nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren werde." Doch die Demonstranten empfinden das als Heuchelei. Sie fordern, der Präsident solle sofort zurücktreten. Am nächsten Tag bäumt sich das Regime ein letztes Mal auf. Tausende, zum Teil bezahlte Mubarak-Anhänger stürmen den Tahrir-Platz - mit Messern und Knüppeln bewaffnet, viele auf Pferden und Kamelen, ohne dass sie vom Militär daran gehindert werden. Wieder gibt es Tote sowie über 1.500 Verletzte. Doch die Aktivisten können den Platz halten.
Zuerst die Muslimbrüder, dann das Militär
In diesen Tagen entsteht das Lied "Sout El Horreya" der ägyptischen Band "Cairokee". Der Refrain wird zur Hymne der Revolution: "In allen Straßen meines Landes ertönt die Stimme der Freiheit." Am 11. Februar 2011 tritt Mubarak schließlich von allen Ämtern zurück. Auf dem Tahrir-Platz wird gefeiert. Doch nicht die Demonstranten der ersten Stunde setzen sich nun mit ihren Vorstellungen von besseren Verhältnissen durch, sondern die Islamisten. Sie hatten sich erst mit Verzögerung an den Protesten beteiligt. Dennoch gewinnen sie die Parlaments- und die Präsidentschaftswahlen. Der erste frei gewählte Präsident Ägyptens wird 2012 Mohammed Mursi.
Doch dann scheitern die Muslimbrüder an ihrem Machtrausch, sagt ARD-Korrespondent Jürgen Stryjak, der während der Revolutionszeit jeden Tag auf dem Tahrir-Platz war. "Alle Beteuerungen zuvor, dass man alle gesellschaftlichen Kräfte mit einbeziehen will, wurden nicht umgesetzt." Die Muslimbruderschaft habe offenbar so eine Art Mubarak mit Bart gewollt. "Sie wollten den Sicherheitsapparat, den Justizapparat, die Armee nicht reformieren und den neuen demokratischen Verhältnissen anpassen. Sie wollten sie für ihre Zwecke nutzen", sagt Journalist Stryjak. 2013 wird Mursi vom Militär entmachtet. General Abdel Fattah al-Sissi lässt sich zum Präsidenten wählen. Die Revolution in Ägypten ist gescheitert. Das politische Klima ähnelt wieder dem der Zeit Mubaraks. Auch die wirtschaftliche Lage ist nicht besser. "Es gibt einen Unterschied zu 2011", sagt Stryjak. "Der besteht darin, dass diese große Frustration, die vorherrscht, nicht in Aktivität mündet, sondern in Resignation."
Stand: 25.01.2016
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