Einen Freizeitpark in Deutschland eröffnen? Diese Idee scheint in den 1960er-Jahren absurd, Geld will erst recht niemand in solche "Phantasien" stecken. So bleibt dem Schausteller Gottlieb Löffelhardt und dem Puppenspieler Richard Schmidt nichts anderes übrig, als ihren Traum alleine aufzubauen.
Auf dem Gelände eines ehemaligen Braunkohle-Tagebaus bei Brühl bauen die Jugendfreunde für 2,5 Millionen Mark ihr "Phantasialand", eine Art Dauerkirmes mit vielen bunten Gestalten. Den Grundstock bilden die Puppen von Schmidt, mit denen er zuvor im Fernsehen aufgetreten ist. "Da fehlt die Action", soll Löffelhardt, der in seiner Kindheit oft dem Großvater beim Karusselbau beobachtet hat, beim Blick auf die sich entwickelnden Märchenlandschaften interveniert haben.
"Macht mir ja nicht zu schnell pleite"
Das Ergebnis: Dornröschen und Aschenputtel erwachen per Knopfdruck zum Leben. Eine Gondelschwebebahn führt an Schloss Schreckenstein vorbei in ein gruseliges Beton-Höhlengebirge. Die Besucher passieren auf Schienen aus Pappmaschee nachgestellte ferne Länder: Ungarn, Japan, Afrika, Ägypten und Grönland - alles in einem Rutsch. Der erste Freizeitpark im Wirtschaftswunderland bedient das Fernweh der Deutschen.
Daneben sind die Freizeitklassiker im Angebot: "Phantasialand bietet vielerlei - man kann für 50 Pfennig auf Ponys reiten, ein Spielplatz bietet genügend Gelegenheit für Kinder, sich richtig auszutoben", berichtet der WDR am 30. April 1967 von der Eröffnung des Parks. Da warnt Brühls Bürgermeister in seiner Festrede noch: "Macht mir ja nicht zu schnell pleite."
Einmal durch das Brandenburger Tor schlendern
Seine Sorgen sind unbegründet. Bereits am ersten Tag strömen so viele Besucher herbei, dass sich die Frauen der beiden Gründer selbst eine Schürze umbinden und Würstchen verkaufen, statt im feinen Cocktailkleid Sekt zu schlürfen. In der ersten Saison sind es schon 400.000 Besucher.
Der größte Coup der Anfänge entsteht aus der Not heraus: Weil der Applaus zu laut ist, muss für die Freilichtbühne des Puppentheaters ein Ersatz gefunden werden. Ein Besuch im geteilten Berlin bringt die rettende Idee: Das Brandenburger Tor im Maßstab 1:2 wird in Brühl aufgebaut, offen für jeden zum Durchgehen. "Zum Eiffelturm kann jeder heute hinfahren, nur das Brandenburger Tor, da kann keiner durch", erinnert sich Schmidt später.
Freizeitpark der Superlative
Es folgt die erste Wildwasserbahn Deutschlands, eine Delfinshow, Achterbahnen, eine Wildweststadt und ein Indianerdorf. Da der Platz begrenzt ist, müssen alte Attraktionen immer wieder neuen weichen.
Fünf Jahrzehnte nach der Eröffnung ist das Brandenburger Tor längst abgerissen; Schneewittchen, Rotkäppchen & Co sind ausgezogen. Wo sich Besucher einst im Westernstil fotografieren lassen konnten, rattern heute Achter- und Wasserbahnen der Superlative. Höher, weiter, schneller lautet nun die Devise, damit die Besucher auch wiederkommen.
Familienunternehmen mit zwei Millionen Besucher
Aus dem phantastischen Träumen von Löffelhardt und Schmidt ist einer der besucherstärksten Freizeitparks Europas geworden. Eines ist geblieben: Trotz der rund zwei Millionen Besucher jährlich ist das "Phantasialand" noch immer im Besitz der Gründerfamilien.
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