Es soll ein sonniger Tag gewesen sein, als am 13. April 1817 in dem englischen Dorf Almondsbury eine geheimnisvolle Fremde an einen Cottage klopft. Sie trägt ein geschmackvolles schwarzes Stoffkleid mit Musselinkrause um den Hals, ein schwarzes Baumwolltuch um den Kopf und hat einen rot-schwarzen Überwurf über den Schultern. "Caraboo!" sagt sie immer wieder - offensichtlich ihr Name. Mehr lässt sich über die Fremde zunächst nicht herausfinden.
Wohin mit dieser exotischen Schönheit? Mit ihren guten Manieren passt sie nicht ins Armenhaus und so bringt man die junge Frau zum Haus von Richter Samuel Worrall, einen der angesehensten Bürger von Almondsbury. Das Ehepaar Worrall nimmt die Fremde auf und bestaunt fortan das seltsame Verhalten der Frau.
Ananas - Hinweis auf die Heimat?
Bevor Caraboo Tee trinkt, bedeckt sie ihre Augen mit der Hand und scheint ein Gebet zu wiederholen, bei dem sie zum Abschluss den Kopf neigt. Als man die Fremde zu dem Raum führt, in dem sie schlafen soll, will sie nur widerstrebend ins Bett gehen und zeigt auf den Fußboden.
Ein anderes Mal entzückt sie das Bild einer Ananas so als erkenne sie die Frucht aus ihrer fernen Heimat. "Diese Frau taucht auf und jetzt machen diejenigen, denen sie begegnet, ein Angebot von dem, was sie sein könnte – und sie steigt ein und entwickelt es weiter", beschreibt der Berliner Literaturprofessor und Experte für Hochstaplerei Stephan Porombka, Caraboos Strategie.
Seefahrer versteht angeblich Sprache
Ein portugiesischer Seefahrer bringt scheinbar Licht ins Dunkel. Er kann sich angeblich mit Caraboo verständigen und berichtet: Die geheimnisvolle Besucherin sei eine chinesisch-malaiische Prinzessin, die es auf der Flucht vor Seeräubern in die englische Provinz verschlagen habe. Tatsächlich durchschaut er sofort die Hochstapelei, ist aber bereit gegen eine Provision mitzuspielen.
Jetzt wird Caraboo erst recht zur Sensation, auf den Empfängen der gehobenen Gesellschaft ist sie der Star. Die fröhliche Prinzessin zeigt den Menschen ihre fremdländische Schrift und widmet sich exotischen Gebetsritualen. Auch die Zeitungen berichten von der gestrandeten Adeligen, was die Geschichte im Juni 1817 beendet: Eine Frau aus Bristol erkennt in "Princess Caraboo" ihre ehemalige Untermieterin.
Tochter eines Schusters
Die chinesisch-malaiische Prinzessin ist in Wirklichkeit Mary Baker, Tochter eines Schusters aus Bristol. Sie war nie auf einem Piratenschiff, dafür ist sie quer durch England gereist. Ihre Gastgeber nehmen den Betrug vergleichsweise leicht und helfen der falschen Prinzessin sogar bei der Auswanderung in die USA. "Ich denke mal, das hat sehr viel mit ihr zu tun. Weil sie wahrscheinlich einfach ein ganz angenehmer Mensch gewesen ist", vermutet Porombka.
Mary Baker kehrt nach wenigen Jahren zurück nach England, versucht noch einige Male erfolglos den Schwindel zu wiederholen und stirbt weitgehend unbeachtet 1867 in Bristol. Dort liegt die abenteuerlustige Schustertochter, die für zehn Wochen eine exotisch schillernde Prinzessin war, in einem anonymen Grab.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 13. April 2017 ebenfalls an Mary Baker. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 14.04.2017: Vor 100 Jahren: Todestag Ludwig Zamenhof