Aus arabischer Sicht ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Periode wiederholter Enttäuschungen und Vertrauensbrüche. "Die Kolonialmächte versuchten, in der Region ihre eigenen Interessen durchzusetzen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung vor Ort", sagt Christoph Günther, Islamwissenschaftler am Max-Planck-Institut in Halle an der Saale. Auch die Geschichte der Unabhängigkeit der Araber beginnt mit einem Verrat Großbritanniens im Ersten Weltkrieg. Als dieser 1914 beginnt, befindet sich das Osmanische Reich schon lange im Niedergang. Jahrhundertelang hatten Türken die arabische Welt beherrscht. Nun wollen arabische Nationalbewegungen endlich Unabhängigkeit.
Im Ersten Weltkrieg kämpft das Osmanische Reich an der Seite der Deutschen gegen die Entente aus Großbritannien, Frankreich und Russland. Daher kommt den Briten der arabische Unabhängigkeitskampf gelegen. Sie verbünden sich mit den Arabern und versprechen ihnen für ihre Unterstützung im Ersten Weltkrieg ein unabhängiges Großarabien. Doch das ist gelogen: "Von Anfang an war es klar, dass diese Versprechungen im Falle unseres Sieges nur Papier sein würden", notiert später der britische Offizier Thomas Edward Lawrence, auch bekannt als Lawrence von Arabien. "Wäre ich ein aufrichtiger Berater der Araber gewesen, dann hätte ich ihnen geraten, nach Hause zu gehen und nicht ihr Leben für so etwas zu riskieren."
Geheimes Sykes-Picot-Abkommen
Die Briten betrachten ihre arabischen Partner nie als gleichberechtigt. Im Mai 1916 verständigen sich Großbritannien und Frankreich im sogenannten Sykes-Picot-Abkommen insgeheim über die Interessensgebiete im Nahen Osten. Nach dem Krieg sollten die Franzosen Syrien und die Briten den Irak bekommen. Als im Juni 1916 der Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich beginnt, wird Verbindungsoffizier Lawrence in die Arabische Wüste geschickt, um Prinz Faisal, dem Anführer des Aufstands, offiziell zur Seite zu stehen. Er ist der Sohn des Scherifen Hussein, Nachkomme des Propheten Muhammad und Hüter der heiligen islamischen Stätten von Mekka und Medina. Hussein will den osmanischen Sultan als Kalif der Muslime ablösen und Führer eines zukünftigen arabischen Einheitsstaates werden.
Im Juni 1917 versichern die Briten erneut, dass arabische Gebiete, die von ihnen selbst während des Krieges befreit werden, völlig unabhängig bleiben würden. Daher lassen sich die Araber auch nicht in ihrem Vertrauen erschüttern, als im November 1917 die Bolschewisten in Russland das Sykes-Picot-Abkommen öffentlich machen. Im Oktober 1918 ziehen die Beduinentruppen unter Führung von Prinz Faisal in Damaskus ein. Die Herrschaft der Osmanen über die Araber ist vorbei. Nun erinnert Faisal die Briten an ihr Versprechen und reist 1919 zur Friedenskonferenz nach Paris. Seine Maximalforderungen belächeln die europäischen Verhandler jedoch nur. Faisal kehrt nach Damaskus zurück. Im März 1920 ruft ihn der syrische Nationalkongress zum König aus. Doch dieses Amt bleibt nur ein Intermezzo, weil das Sykes-Picot-Abkommen umgesetzt wird und die Franzosen Faisal nicht auf dem syrischen Thron dulden.
Faisal als britische Marionette
Faisal geht nach London und wartet dort auf weitere Verwendung. Im August 1920 überträgt der Völkerbund Großbritannien das Mandat über Mesopotamien, die alten osmanischen Provinzen Mosul, Bagdad und Basra. Zur entscheidenden Figur bei der Gründung des Irak wird Gertrude Bell, Verbindungsoffizierin der britischen Armee. Sie hat keinen Bedenken, Kurden, Sunniten und Schiiten in einem Staat zusammenzufassen. Favorit für den Thron in Bagdad ist für Bell Faisal. Auf der Konferenz von Kairo im März 1921 spricht sich auch Kolonialminister Winston Churchill für den Scherifenprinzen als Marionette der Briten aus. Am 23. August 1921 wird Faisal I. als König des Irak ausgerufen.
Kurden und Schiiten fühlen sich im neuen Irak nicht vertreten. Der König ist Sunnit. Doch diese Konstellation ist von den Briten gewollt. Gertrude Bell ist überzeugt, "dass die oberste Autorität in der Hand der Sunniten liegen muss, obwohl sie numerisch unterlegen sind. Im anderen Fall errichten die Schiiten hier einen theokratischen Staat." Noch Jahrzehnte behalten die Briten großen Einfluss im Irak. Sie fördern gezielt die Vorherrschaft der sunnitischen Eliten. Auch das Ende der Monarchie 1958 ändert an deren Dominanz nichts - bis 2003 nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein erstmals im Irak Schiiten an die Macht kommen. Die alten ethnisch-konfessionellen Feindschaften brechen offen aus - mit verheerenden Folgen.
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