Muammar Gaddafi in Tripolis, 05.02.2001

20. Oktober 2011 - Muammar al Gaddafi wird getötet

Stand: 20.10.2016, 00:00 Uhr

Seit dem 21. August 2011 befindet sich der libysche Diktator Muammar al Gaddafi auf der Flucht: Rebellen haben sein Hauptquartier in Tripolis erobert. Wo sich Gaddafi aufhält, ist lange unklar. Mal wird er im Niger vermutet, mal in einem Wüstenabschnitt an der Grenze zu Tunesien und Algerien. Acht Wochen später ist die Jagd zu Ende. Am 20. Oktober 2011 meldet der arabische Fernsehsender Al Dschasira, dass Gaddafi aufgegriffen worden sei. Er ist tot. Ein Handyfoto wird gezeigt: Gaddafis Gesicht ist blutverschmiert, sein Leichnam liegt im Staub.

Über die genauen Umstände seines Todes herrscht Unklarheit. Offenbar haben libysche Aufständische den gestürzten Diktator und seine Getreuen mithilfe von NATO-Luftangriffen in der Stadt Sirte eingekreist. Da ein Ausbruchsversuch mit Fahrzeugen misslingt, versuchen die Eingeschlossenen - laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) -, über einen Abwasserkanal zu entkommen. Doch auf der anderen Seite warten demnach schon die Rebellen. Gaddafi wird, so heißt es, misshandelt und schließlich umgebracht. Die offizielle libysche Darstellung, wonach er bei einem Schusswechsel stirbt, bezweifelt HRW.

"Grünes Buch" als Weltanschauung

42 Jahre lang hat Gaddafi an der Spitze der "Großen Sozialistischen libysch-arabischen Volksrepublik" gestanden. Geboren wird er am 7. Juni 1942 bei Sirte. "Ich bin unter Beduinen groß geworden", sagt er später. "Wir lebten in der Wüste im Zelt." Als jüngstes von vier Kindern geht nur er zu Schule. 1962 beginnt er, an der Universität Bengasi Jura und Geschichte zu studieren. Im Jahr darauf wird er von der dortigen Militärakademie als Offiziersanwärter aufgenommen und unter anderem in Großbritannien ausgebildet. Mit 27 Jahren putscht er 1969 gegen König Idris I. und übernimmt die Macht. Wie sein Vorbild, der Ägypter Gamal Abdel Nasser, setzt er auf arabische Einheit und Sozialismus.

Doch die Euphorie der Revolution ist rasch verflogen. "Wohnungsbau, Arbeitsplätze schaffen, Entwicklung der Landwirtschaft: Das blieb weit hinter den Erwartungen zurück", sagt Hanspeter Mattes, Libyen-Experte vom Institut für Nahoststudien in Hamburg. In seinem "Grünen Buch" entwirft Gaddafi seine eigene Weltanschauung: einen Gegenentwurf zu Kapitalismus und Kommunismus. Demokratie nach westlichem Vorbild lehnt er ab, Mitbestimmung definiert er anders. "In Basisvolkskonferenzen soll diskutiert und entschieden werden", erläutert Mattes. Auch die Exekutive soll gewählt werden: Sogenannte Volkskomitees - so die Idee - sind an die Entscheidungen der Volkskonferenzen gebunden. Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorgesehen. Gaddafi gründet Revolutionskomitees, um die Volkskonferenzen zu kontrollieren.

Atomprogramm, Bomben und UN-Rede

"Das Grüne Buch weist den Menschen den Weg zur Emanzipation", sagt Gaddafi. Tatsächlich wird Libyen aber zum Überwachungsstaat. Oppositionelle werden eingesperrt und umgebracht. Zu Gaddafis Zeiten besitzt das Land keine Verfassung. Nur das "Grüne Buch" bestimmt zusammen mit dem Koran die gesellschaftliche Ordnung. In der Praxis hat Gaddafi in allen Angelegenheiten das letzte Wort. Er unterstützt bewaffnete Befreiungsbewegungen in anderen Ländern und startet ein geheimes Atomprogramm. Bei einem Anschlag 1986 auf die Berliner Diskothek "La Belle", bei den Bombenexplosionen 1988 an Bord eines US-Passagierflugzeugs über dem schottischen Lockerbie sowie 1989 an Bord eines französischen Flugzeugs über dem Niger führen die Spuren jeweils nach Tripolis.

1999 kommt die überraschende Wende. Gaddafi gibt seine Atompläne auf und entschädigt die Familien der Opfer von Lockerbie. Sieben Jahre später nehmen Libyen und die USA nach 35 Jahren Pause wieder diplomatische Beziehungen auf.

2009 hat Gaddafi dann seinen ersten - allerdings auch letzten - großen Auftritt vor der UN-Vollversammlung. Der Sicherheitsrat sei ein "Terror-Rat", sagt er, bloßes Machtinstrument der Veto-Mächte. Gaddafi zerreißt auf dem Rednerpodium die UN-Charta und greift Europa an: "Afrika verdient 777 Billionen als Kompensation von den Ländern, die es kolonisiert haben."

Eigene Realität des Herrschers

Als 2011 der sogenannte Arabische Frühling auch Libyen erreicht, bleibt Gaddafi starrsinnig. In bizarren Reden verteidigt er sein politisches Erbe und lehnt jeglichen Wandel ab. Offenbar lebt er längst in seiner eigenen Realität. Nach dem Tod des Diktators versinkt Libyen in Gewalt und Chaos - auch eine Folge seiner jahrzehntelangen Herrschaft.

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