Am Nachmittag des 30. Juni 1900 ereignet sich im Hafen von New York eine der schwersten Brandkatastrophen der US-Geschichte. Mehr als 300 Menschen kommen ums Leben, als ein Großfeuer die Piers des Norddeutschen Lloyd in Hoboken vernichtet. In dem Flammeninferno brennen drei vor Anker liegende Schnelldampfer der Bremer Reederei vollständig aus.
Nur die "Kaiser Wilhelm der Grosse" kann in letzter Sekunde ablegen und mit leichten Brandschäden gerettet werden. Das Flaggschiff des Norddeutschen Lloyd ist der größte, schnellste und luxuriöseste Passagierdampfer seiner Zeit. Mit ihren vier riesigen Schornsteinen etabliert die "Kaiser Wilhelm der Grosse" einen völlig neuen Schiffstyp, der weltweit kopiert wird, bis hin zur "Titanic".
Auswanderer füllen die Zwischendecks
Vier Jahrzehnte vor dem Stapellauf der "Kaiser Wilhelm" verkündet der Bremer Kaufmann und Politiker Hermann Henrich Meier: "Der Lloyd ist eine Reederei ersten Ranges und wird stets Schiffe ersten Ranges haben!" Jahrelang hat er vergeblich um die Finanzierung seiner Pläne gekämpft. Mit dem jungen, amerikaerfahrenen Reeder Eduard Crüsemann als Kompagnon gelingt es Meier, das enorme Kapital für eine Dampfschifflinie zwischen Bremerhaven und den USA aufzutreiben.
Noch bevor die angepeilten vier Millionen Taler beisammen sind, gründen Hermann Henrich Meier und Eduard Crüsemann am 20. Februar 1857 in Bremen den Norddeutschen Lloyd (NDL). Als erster Direktor setzt Crüsemann von Beginn an neben dem Frachttransport auf zahlende Passagiere; Millionen Auswanderer verlassen damals Europa, um in der Neuen Welt ihr Glück zu suchen.
Schnell und luxuriös über den Atlantik
Nach verlustreichen Anfängen stirbt Crüsemann 1869 mit nur 43 Jahren. Durch die Reichsgründung 1871 kommen die Geschäfte dann endlich in Fahrt. Die NDL erobert die Reichspostdampferlinien nach Australien und Ostasien und etabliert sich als erste deutsche Reederei auf der profitablen Atlantik-Route. Beim Tod von Hermann Henrich Meier 1898 gehört der Norddeutsche Lloyd mit elf schnellen Zweischraubendampfern zu den bedeutendsten Reedereien der Welt.
Englands Vorherrschaft zur See zu brechen hat im Kaiserreich oberste Priorität. Dazu gehören neben der Kriegsflotte auch die mit allem erdenklichen Luxus ausgestatteten Dampfer der NDL. Hunderte eilfertige Stewards, Köche und Unterhalter sorgen für das Wohl der Erste-Klasse-Passagiere. Die zumeist bettelarmen Auswanderer tief unten in den Zwischendecks logieren dagegen dicht gedrängt auf muffigen Strohsäcken. Während der gesamten Überfahrt nach Amerika leiden sie unter erbärmlichen sanitären Zuständen; den Luxus-Passagieren dürfen sie nicht unter die Augen kommen.
Zur Fusion mit der Hapag gezwungen
Mit Ausbruch des Weltkriegs 1914 endet die Blütezeit des Norddeutschen Lloyd. Nach der Kapitulation muss Deutschland alle noch seetauglichen Schiffe an die Alliierten ausliefern. Erst als 1928 die "Bremen IV" vom Stapel läuft, können Stars wie Marlene Dietrich, Max Schmeling oder der Tenor Richard Tauber wieder in gewohntem Komfort nach New York reisen. Mit edelster Ausstattung übertrifft die "Bremen" noch jeden Luxus, den es vor dem Krieg gegeben hat.
1945 sind erneut fast alle Lloyd-Schiffe versenkt oder werden von den Alliierten beschlagnahmt. Zu neuem Glanz kann sich der Norddeutsche Lloyd nicht mehr aufschwingen. Die Zeit der großen Schnelldampfer ist vorbei, die Ära der Fluglinien hat begonnen. 1970 muss der NDL mit seinem Hamburger Konkurrenten Hapag zur Hapag-Lloyd AG fusionieren. Statt zahlungskräftiger First-Class-Kunden und Massen von Auswanderern werden seither Kreuzfahrt-Passagiere und Container über die Weltmeere befördert.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 20. Februar 2017 ebenfalls an den Norddeutschen Lloyd. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 21.02.2017: Vor 60 Jahren: Gesetz gegen Schwarzarbeit verabschiedet