An der so genannten deutsch-polnischen Friedensgrenze herrscht Ödnis und Leere. Dann beschließt die Deutsche Demokratische Republik (DDR), dort ein Stahlwerk zu errichten – und gemeinsam mit dem Werk eine ganze Stadt aus dem Heideboden zu stampfen, die ein besseres Leben im real existierenden Sozialismus verheißt.
Nach nur einem Jahr Bauzeit steht bereits der erste Hochofen und wird unter den Klängen der Nationalhymne in Betrieb genommen. "Es ist die Flamme der Begeisterung und die Flamme der Liebe, die in diesen Sekunden zum Hochofen getragen wird", heißt es im regimeeigenen Pathos des Arbeiter- und Bauernstaats in einem Kommentar: "der Liebe zu dem Werk, an dem sie gearbeitet haben, Tage und Wochen hindurch".
Vom Volk geschaffen, dem Volk gehörend
Der eigentliche Stadtbau verzögert sich, weil Walter Ulbricht an der Spitze des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Entwürfe als zu klein und zu dürftig empfindet. Die Wohnstadt des neu errichteten Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) soll wie aus Ruinen auferstanden wirken, und der Zukunft zugewandt: Sie soll großzügig gestaltet sein und Strahlkraft entfalten, um der ganzen Welt zu zeigen, was im Sozialismus möglich ist.
So entstehen ab 1951 drei bis vierstöckige Wohnblocks mit Balkonen, Loggien und Erkern, helle Wohnungen, große Innenhöfe mit Spielplätzen und Brunnen, Kunstwerken, Arkaden, Ladenzeilen. "Von Ferne schon leuchten uns die Fassaden entgegen", heißt es zwei Jahre später in einer DDR-Reportage. "Kräftig und stolz recken sie sich in die Höhe, als ob sie sagen wollten: Vom Volk sind wir geschaffen, dem Volke gehören wir."
Zentrum des Lebens
Ursprünglich ist geplant, die erste Reißbrettstadt der DDR anlässlich des 70. Todestags von Karl Marx nach dem Wegbereiter des Kommunismus zu benennen. Dann aber stirbt, kurz vor der Namensgebung, der "geliebte Führer der Sowjetunion", Josef Stalin. Am 7. Mai 1953 erhält die Reißbrettstadt den Namen Stalinstadt. "Der weise Stalin, der große Baumeister des Sozialismus, lehrte uns, dass wir besondere Aufmerksamkeit richten sollen auf die Entwicklung der Städte", betont Ulbricht in seiner Festansprache. "Damit diese Städte zu wirklichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentren des Lebens werden."
Acht Jahre lang heißt die Wohnstadt des Eisenhüttenkombinats Ost Stalinstadt, dann wird sie in Eisenhüttenstadt umbenannt. Sie ist die einzige Modellstadt des Ostens, die heute unter Flächendenkmalschutz steht und aufwändig restauriert worden ist.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. Mai 2018 ebenfalls an "Stalinstadt". Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 08.05.2018: Vor 190 Jahren: Geburtstag des Rote-Kreuz-Gründers Henri Dunant