Ibn Sina (Avicenna), Kupferstich

19. Dezember 1037 - Todesjahr des arabischen Arztes und Philosophen Avicenna

Stand: 19.12.2017, 00:00 Uhr

Um das Jahr 1000 lebt ein islamischer Gelehrter im Kalifat Bagdad, der den Wein liebt und die Frauen. Er ist Arzt und Philosoph: Ibn Sina, auch genannt Avicenna. "Wohl kein Philosoph hat ein so abenteuerliches und gefährdetes Leben geführt wie er", sagt Professor Gotthard Strohmaier, Arabist und Avicenna-Experte.

Genauso bemerkenswert wie sein Leben ist seine Lehre: fortschrittlich und für die westliche Welt eine Erleuchtung. "Avicenna erinnert uns daran, dass es die Aufklärung und der Humanismus in unserer westlichen Zivilisation nicht geschafft hätten – ohne den Hintergrund der großen arabischen Denker", sagt Professor Andreas Speer, Philosoph an der Universität Köln.

Avicenna, arabischer Arzt und Philosoph (Todesjahr 1037)

WDR 2 Stichtag 19.12.2017 04:11 Min. Verfügbar bis 17.12.2027 WDR 2


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Ein Leben auf der Flucht

Fast sein ganzes Leben lang ist Avicenna auf der Flucht. Das Kalifat in Bagdad ist schwach, das Riesenreich des Islam von Spanien im Westen bis zum Indus im Osten bröckelt. In Persien lauern regionale Fürsten nur darauf, an die Macht zu kommen. Avicenna laviert zwischen den Fronten. Als Philosoph braucht er Sponsoren. Die findet er als Leibarzt.

"Wenn man den Aufzeichnungen seiner eigenen Autobiographie und auch Zeugnissen glauben darf, muss er schon als Kind ein Genie gewesen sein", sagt Andreas Speer.

Der Sohn eines Hofbeamten wird 980 nahe Buchārā geboren, im heutigen Usbekistan, das damals zu Persien gehört. Mit zehn Jahren beherrscht er den Koran, mit 16 Jahren sämtliche Naturwissenschaften. Medizinisches Wissen lernt er im Vorübergehen. Mit 18 Jahren ist seine Ausbildung abgeschlossen: Alles Wissenswerte hat er in seinem phänomenalen Gedächtnis abgespeichert. Und dieses Wissen schreibt er auf, systematisch und fortschrittlich.

Avicenna empfiehlt Wunden mit Alkohol auszuwaschen

Zwei Werke überragen alles: Der "Kanon der Medizin" behandelt die Heilung des Körpers, das "Buch der Genesung" die Vollendung des Verstandes. In seinen Schriften empfiehlt er zum Beispiel, Trinkwasser zu filtern oder abzukochen, und Wunden mit Alkohol auszuwaschen.

"Für Avicenna ist derjenige, der im vollendetsten Besitz der Vernunft ist, ein Philosoph und Prophet", sagt Andreas Speer. Den christlichen Gelehrten des Mittelalters kommt Avicennas wunderbare Systematik wie eine Offenbarung vor. Sie ist ein Anstoß für den unaufhaltsamen Aufstieg des Westens. Und der Fall Avicenna zeigt: Das Fundament der Vernunft ist das gemeinsame Erbe der arabischen und christlichen Kultur.

Avicenna stirbt 1037 mit nur 57 Jahren. Schon todkrank folgt er seinem Fürsten in den Krieg und noch auf dem Sterbelager verlangt er nach Frauen. Sein "Kanon der Medizin" bleibt bis in die Renaissance und die frühe Neuzeit hinein die einflussreichste Lehrschrift in der Medizin.

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