Vom ideologischen Erbe wollen sich die Tschechen und Slowaken der CSSR noch gemeinsam lösen. Am 20. April 1990 tritt das Parlament des ehemaligen Ostblockstaats in Prag zusammen, um der jungen Demokratie nach dem Zusammenbruch des Kommunismus einen neuen Namen zu geben. Schnell ist man sich einig, dass das Wort "Sozialistisch" aus dem Staatsnamen entfernt werden soll. Aber danach geht es um weit mehr: um einen Bindestrich. Soll sich das in CSFR umgetaufte Land in Zukunft "Ceskoslovenska Federativna Republika" oder "Cesko-Slovenska Federativna Republika" schreiben? Die Frage erhitzt die Gemüter. Zwölf Stunden dauert die Debatte, zwölf Abstimmungsrunden sind zur Beschlussfassung nötig. Trotz eines Leistenbruchs lässt sich Staatspräsident Vaclav Havel vom Krankenhaus herkutschieren, um die aufgebrachten Politiker zur Räson zu bringen.Die Auseinandersetzung um den Bindestrich illustriert den tiefen Riss, der sich zwischen den Völkern der Tschechoslowakei längst aufgetan hat. Anders als die 205 Tschechen pochen seine Befürworter, die 145 Slowaken im Parlament, auf eine stärkere Betonung der Unabhängigkeit ihrer Teilrepublik. Die Mehrheit setzt sich schließlich durch. Aber viele Slowaken im Land sind mit der tschechoslowakischen Alternative nicht einverstanden. Nachdem 1989 Tausende in Prag und anderswo das kommunistische Regime in den friedlichen Demonstrationen einer "samtenen Revolution" zur Aufgabe zwangen, gehen die Menschen ein Jahr später im slowakischen Bratislava wieder auf die Straße. Diesmal steht aber nicht die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft, sondern der eigene Nationalstolz auf dem Programm.
Die Krise zwischen Tschechen und Slowaken, die sich im Parlament an einem einfachen Satzzeichen entzündete, führt nicht zum Happy End. Kurz nach den Wahlen 1992 gehen die einstigen Partnervölker getrennte Wege. Erst die Aufnahme in die EU bringt beide Staaten wieder unter ein Dach.
Stand: 20.04.05