Stichtag

30. August 2005 - Vor 1935 Jahren: Die Römer zerstören den Tempel von Jerusalem

"Als die römischen Soldaten den Juden, die fliehen wollten, bis zum Tempelgebäude nachdrängten, da packte einer von ihnen eine Brandfackel und warf sie in das goldene Fenster. Als die Flammen empor schlugen, schrien die Juden furchtbar auf. Schon hatten die Soldaten die Tore angezündet, und die schmelzenden Silberbeschläge öffneten dem Feuer den Weg zum Holzgebälk. Man konnte meinen, der Tempel glühe als ganzer, denn der Brand hüllte sie gänzlich ein. Und noch verschwenderischer als das Feuer flossen Ströme von Blut."So schildert Flavius Josephus den Untergang des Tempels von Jerusalem am 30. August des Jahres 70 n. Chr. Der Tag beendet den jahrelangen Aufstand der Juden gegen die römischen Besatzer. Josephus ist selbst einer der aufständischen Juden. Als General kämpft er gegen die Römer, wird aber gefangen und läuft zu den Siegern über. Dem Feldherrn Titus prophezeit er die Kaiserkrone. Aus dem jüdischen Priestersohn wird ein römischer Schriftsteller.Als der Tempel in Flammen aufgeht, ist der Aufstand in den Provinzen Galiläa und Judäa längst blutig niedergeschlagen. Im belagerten Jerusalem töten sich die Unterlegenen gegenseitig: Eine Partei des Kompromisses kämpft gegen die religiösen Hardliner, die "Zeloten", die bis zuletzt hoffen, dass Gott für sein Volk in den Kampf eingreift. Sie sterben zu Tausenden durch das Schwert, das Feuer oder später an den Kreuzen der Besatzer. Die letzten Aufständischen bringen sich zwei Jahre später auf der Festung Massada mit Frauen und Kindern selbst um. Die Römer plündern den Tempel. Den siebenarmigen Leuchter und andere Kultgeräte tragen sie im Triumphzug durch Rom.

Noch einmal, 50 Jahre später, versuchen die Juden einen verzweifelten Aufstand, angeführt von Bar Kochbar ("Sternensohn"), der sich als Messias ausgibt. Auch dieser Krieg endet mit einem Blutbad. Danach verbietet Kaiser Hadrian den Juden, Jerusalem auch nur zu betreten. Die heilige Stadt wird in "Aelia Capitolina" umbenannt. Israel macht Hadrian zur Provinz "Palästina", bewusst benannt nach den biblischen Erzfeinden der Juden Jahrhunderte zuvor: den Philistern.
Mit dem Tempel verschwinden das Priestertum, die Opfer, die Wallfahrt. Aber die Stunde Null bedeutet nicht das Ende, sondern einen neuen Beginn des Judentums, ein Vorgang ohne Beispiel in der antiken Welt. Die versprengten Juden scharen sich um Bet- und Lehrhäuser. Die Tora, die biblische Offenbarung, wird zum Kern einer Religion ohne politische Macht, Zentralheiligtum, Opfer und Priester. Der Glaube wird von den Rabbinern und in den Familien weitergegeben - bis heute. Der 9. Aw - wie der Tag im jüdischen Kalender heißt - ist bis heute ein Trauer- und Fasttag.


Stand: 30.08.05