Von der Musik Richard Wagners ist Ludwig II. wie besessen. "Schwärmen, Seligkeit, Wonne atmend... Der Schwan kommt!", kritzelt der 18-Jährige, der am 25. August 1845 geboren wird, nach einem Besuch des "Lohengrin" in sein Tagebuch. Ein Jahr später ist der Wittelsbacher König - und kostümiert sich immer noch im Stil deutscher Heldensagen. Das Geld, das Bismarck ihm vermacht, um ihn mit der preußischen Politik zu versöhnen, steckt er in den Bau luxuriöser Schlösser. Wie in einer Oper Wagners will er leben. Die reale Welt mitsamt des verhassten Volkes soll vor den verzierten Toren Neuschwansteins draußen bleiben. Ludwig II. ist ein unnahbarer Pop-Star im Hermelin, ein ewiges Kind, das seine Schüchternheit in einer feudalen Kulisse mit Schlosstheater und künstlicher blauer Grotte überspielt. Von Schloss Neuschwanstein führt ein direkter Weg zur Neverland Ranch von Michael Jackson.Aber der fast zwei Meter große Märchenkönig ist auch ein Science-Fiction-Herrscher, der sich die Romantik seines Schlosses mittels modernster Technik bequemer und bezaubernder macht. Neuschwanstein wird mit Hilfe "lokomobiler Dampfaufzüge" errichtet. Sein Skelett besteht aus industriellen Eisenträgern, Stuckmarmorsäulen verdecken Eisenrohre, Teil modernster Heizungs-Hightech. Die blaue Grotte von Schloss Linderhof lässt Ludwig II. 1878 durch Glühbirnen erhellen - ein Jahr, bevor Thomas Alva Edison seine Erfindung auf den Markt bringt. Ein hauseigenes Dampfkraftwerk liefert den Strom – auch für die Klingeln, mit denen der König seine Diener ruft. In einem batteriebetriebenen Puttenschlitten, dem ersten elektrisch beleuchteten Fahrzeug des Landes, kurvt er durch die Gegend.
"Ein Rätsel bleiben will ich mir und anderen", benennt Ludwig II. sein Lebensmotto. Ein Rätsel bleibt er bis in seinen Tod. Im Juni 1886 wird der Märchenkönig festgenommen und wegen "paranoider Schizophrenie" entmündigt: unter anderem, weil er glaubt, dass der Mensch mit Hilfe "aeronautischer" Objekte eines Tages werde fliegen können. Kurz darauf wird seine Leiche gemeinsam mit der seines Psychiaters gefunden. Ludwig II. stirbt 40-jährig in den Fluten des Starnberger Sees. Kein Schwan kommt zur Hilfe. Ob er zunächst den Arzt erschoss und sich dann selber richtete, oder ob der Märchenkönig gar im Staatsauftrag ermordet wurde, bleibt wohl für immer im Dunkeln.
Stand: 25.08.05