Stichtag

01. März 2005 - Vor 450 Jahren: Nostradamus beendet sein erstes Weissagungs-Buch

Beruflich scheint der 1503 geborene Kaufmannssohn Michel de Notredame aus der Provence rational und erfolgreich gewesen zu sein: Er studiert an der medizinischen Fakultät von Montpellier, der fortschrittlichsten ihrer Zeit, wo die Studenten Anatomie schon an Leichen lernen. Er wird Pestarzt der Stadt Aix und entwickelt ein neuartiges Medikament gegen die Seuche. Seine Tinktur aus Rosen und Calmus testet das Institut Pasteuer in Paris über 500 Jahre später an Pestbakterien: Sie wirkt. Michel de Notredame schreibt ein Buch über seine Erfahrungen als Pestarzt, ein weiteres – nie veröffentlichtes – versucht eine Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen.Berühmt aber wird er nicht als mutiger Mediziner oder als Forscher, sondern durch die wirren und dunklen Prophetien, die er unter seinem lateinischen Namen "Nostradamus" veröffentlicht. Am 5. März 1555 schreibt er das Vorwort zum ersten Band seiner "wahren Prophezeiungen". Bis 1558 folgen noch zwei weitere Bände, gefüllt mit Vierzeilern in kaum verständlichem Französisch. Die verschlüsselten Verse erlauben fast jede Deutung, denn sie stecken voll von Bildern, Symbolen, Zahlen und Namen, auf die man sich zunächst keinen Reim machen kann. Nostradamus wird jedoch so ernst genommen, dass ihn das Königspaar Heinrich II. und Katharina von Medici zu Rate ziehen und mit Geldgeschenken überhäufen. Als der König 1559 bei einem Turnier tödlich verletzt wird, deuten Nostradamus-Anhänger einen seiner Verse als Vorhersage des Unfalls. Nostradamus wird zur unangreifbaren Berühmtheit.

Deutungen im Nachhinein bestätigen Nostradamus über die Jahrhunderte: Er soll die französische Revolution vorhergesagt haben, den zweiten Weltkrieg, auch den Anschlag vom 11. September. Alles ist möglich – denn die Übersetzungen seiner Verse fallen mitunter so unterschiedlich aus, dass man sie kaum wiedererkennt. Nostradamus selbst versteht sich als frommer Christ, der die Tradition der Apokalyptiker, die Vorhersage der Endzeit, fortsetzen will. Bei seinen von Pestepidemien, Kirchenspaltung, Hungersnöten und Kriegszügen heimgesuchten Zeitgenossen stößt er auf offene Ohren. Und die findet er bis heute.


Stand: 01.03.05