In Bonn regiert ab 1969 die sozialliberale Koalition - zunächst mit Willy Brandt (SDP) und Walter Scheel (FDP), anschließend mit Helmut Schmidt (SPD) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) an der Spitze. Um die Union zurück an die Macht zu bringen, wollen CDU-Kanzlerkandidat Helmut Kohl und sein Generalsekretär Kurt Biedenkopf Mitte der 70er Jahre ihre Partei modernisieren. Biedenkopf will Begriffe wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit nicht der SPD überlassen, sondern für die Christdemokraten reklamieren. Dagegen gibt es vom rechten Parteiflügel der CDU massiven Widerstand, da dort eine Sozialdemokratisierung der Partei befürchtet wird. Ein Gegner dieser Strategie ist zum Beispiel Hans Filbinger, der CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg: Er holt im April 1976 mit der Wahlkampfparole "Freiheit oder Sozialismus" die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl. Auch der bayerische CSU-Chef Franz-Josef Strauß setzt auf dieses Motto. "Deshalb konnten Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf nicht einfach den Slogan Freiheit oder Sozialismus in den Orkus schmeißen, sondern sie mussten versuchen, daraus das Beste zu machen", sagt Warnfried Dettling (CDU), damals Mitarbeiter von Biedenkopf, rückblickend.
Aus "Freiheit oder Sozialismus" wird "Freiheit statt Sozialismus": Versehen mit dem Zusatz "Aus Liebe zu Deutschland" wird der Slogan am 24. Mai 1976 von der CDU auf ihrem Wahlparteitag in Hannover der Öffentlichkeit präsentiert. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Kohl sieht darin eine direkte Antwort auf die Behauptung der SPD, die Demokratie lasse sich nur im Sozialismus verwirklichen. Kanzler Helmut Schmidt hingegen kontert: "In Wirklichkeit ist es doch so, dass ein Mann wie Kurt Schumacher für Freiheit und für Sozialismus im Konzentrationslager gesessen hat." Und Willy Brandt entgegnet: "Die Entweder-Oder-Propagandisten der Rechten werden es nicht schaffen, Freiheit gegen Sozialdemokratie auszuspielen. Und auch die Götzenanbeter auf kommunistischer Seite werden die Bürger nicht täuschen können. Ihr angeblicher Sozialismus Marke DDR hat mit Freiheit soviel zu tun wie der Ochse mit dem Klavierspielen."
Der damalige Biedenkopf-Mitarbeiter Dettling räumt nachträglich ein, das Wahlkampfmotto sei "an der Grenze der Seriosität" gewesen. Dennoch habe der Slogan "funktioniert": Die Sozialdemokraten "mussten dann immer begründen und sagen, warum sie im Grunde keine sozialistische Partei sind". Bei der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 wird die CDU stärkste Fraktion und erzielt mit 48,6 Prozent der Stimmen ihr zweitbestes Ergebnis seit 1957. Aber für den Machtwechsel reicht das nicht. SPD und FDP schaffen zusammen noch einmal eine knappe Mehrheit. Im Jahr nach der Wahl entlässt Kohl seinen Generalsekretär Biedenkopf.
Stand: 24.05.06