Als die letzten Spätheimkehrer im Januar 1956 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Deutschland eintreffen, gibt es bereits wieder eine neue deutsche Armee: Am 12. November 1955 hat Verteidigungsminister Theodor Blank (CDU) den ersten 101 Freiwilligen der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden überreicht. Im Kalten Krieg wird die Bundesrepublik als Frontstaat im Ost-West-Konflikt gebraucht. "Niemals kann ich anerkennen, dass es Gottes Wille sein soll, dass wir unser Vaterland und Westeuropa der Herrschaft des Bolschewismus tatenlos überlassen werden", erklärt Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Bundestag. Am 2. Januar 1956 ziehen die ersten Freiwilligen in die Kasernen ein. Doch die Truppe soll einmal 500.000 Mann stark sein. Ohne Wehrpflicht ist das nicht zu schaffen.Am 8. Februar 1956 beschließt das Bundeskabinett unter Adenauer die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die oppositionelle SPD spricht sich dagegen aus: "Die Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland würde die Spaltung Deutschlands vertiefen. Die Einführung der Wehrpflicht hätte auch die Einführung der Wehrpflicht in der sowjetischen Besatzungszone zur Folge", warnt der SPD-Fraktionsvorsitzende Fritz Erler. Die Gewerkschaften und die Evangelische Kirche um Martin Niemöller rufen zum Protest auf. Mit Freiwilligen in Uniform können sich manche noch abfinden. Dass wieder junge Männer zum Dienst mit der Waffe gezogen werden können, wollen viele nicht hinnehmen. Niemöller und Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident, fordern dazu auf, vom Recht der Kriegsdienstverweigerung Gebrauch zu machen. Es entsteht das Demonstrationsmotto: "Ohne mich". Zehntausende gehen auf die Straße, um gegen die Regierungspläne zu demonstrieren.
"Noch Göring und Hitler an der Wand hängen"
Bevor im Bundestag über den Gesetzesentwurf der Regierung abstimmt wird, gibt das Parlament ein Gutachten zur Frage "Wehrpflicht oder Berufsheer" in Auftrag. Der angefragte Experte ist Hitlers ehemaliger Generalfeldmarschall Erich von Manstein, dem dafür Anfang Juni 1956 ein Dienstzimmer im Bundesverteidigungsministerium zur Verfügung gestellt wird. Von Manstein ist aufgrund seiner militärischer Erfahrung offizieller Berater der Bundesregierung beim Aufbau der Bundeswehr - nachdem er 1953 vorzeitig aus der Haft entlassen worden ist. Ein britisches Militärgericht hatte ihn wegen Kriegsverbrechen zu zwölf Jahren verurteilt.Am 7. Juli 1956 ist es schließlich soweit: Nach 16-stündiger Debatte wird das Wehrpflichtgesetz in dritter Lesung im Bundestag verabschiedet. Die SPD stimmt dagegen, die FDP enthält sich der Stimme. Das Gesetz führt für alle Männer in der Bundesrepublik im Alter von 18 bis 45 Jahren wieder die Wehrpflicht ein. Die Dauer der Dienstzeit soll noch in einem besonderen Gesetz geregelt werden. Zur Debatte stehen zwölf, 18 oder 24 Monate. Am 5. Oktober fällt die Entscheidung für zwölf Monate und den ersten Jahrgang 1937, der als erster einrücken soll. Der einzige Weg, sich der Wehrpflicht zu entziehen, ist ein Wohnsitz in West-Berlin. Die ersten wehrpflichtigen Rekruten melden sich am 1. April 1957 zum Dienst. Nach dem Kadavergehorsam der Wehrmacht, ist der "Staatsbürger in Uniform" das offizielle Leitbild der Bundeswehr. Die Ausbilder, die ihren Untergebenen demokratische Werte beibringen sollen, sind allerdings vielfach ehemalige Wehrmachtsoffiziere. "Da waren einige dabei, die Nazis waren, die tatsächlich in ihrer Bude einen Hermann Göring oder einen Adolf Hitler an der Wand hängen hatten", erinnert sich Jürgen Krämer, der in den 60er Jahren seinen Wehrdienst abgeleistet hat.
Stand: 08.02.06