Stichtag

13. Oktober 2006 - Vor 185 Jahren: Rudolf Virchow wird geboren

1848 wird der junge Mediziner Rudolf Virchow von der preußischen Regierung in die Provinz Oberschlesien geschickt. Hier wütet seit einiger Zeit eine Typhusepidemie. Virchow hält das Elend der Bauern akribisch fest. Die Erwartungen der Politiker indes erfüllt er nicht. Denn der Mediziner weigert sich, die Ursachen der Epidemie im schlechten Boden oder im schlechten Wasser der Region zu sehen. Vielmehr klagt er die gesellschaftlichen Verhältnisse und jene Berliner Politiker an, die Armut, Unterernährung und Unterdrückung zu lange geduldet haben. "Was soll man von einem Volk erwarten, das seit Jahrhunderten in so tiefem Elend um seine Existenz kämpft", heißt es in Virchows Bericht, "das nie eine Zeit gesehen hat, wo seine Arbeit ihm zu Gute kam, das die Frucht des Schweißes immer nur in die Säckel der Grundherrschaft fallen sah?"Rudolf Virchow wird am 13. Oktober 1821 im 2.000-Seelen-Städtchen Schivelbein in Hinterpommern geboren. Sein Vater ist ein ständig von Geldnot geplagter Landwirt - denkbar schlechte Voraussetzungen für eine herausragende Karriere in der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Virchows einzige Chance ist die Laufbahn eines Militärarztes, die er mit einem Förderstipendium an der preußischen Ausbildungsanstalt Pépinière absolviert. Bereits 1847 legt der erst 26-Jährige seine Habilitationsschrift vor und arbeitet fortan als Privatdozent; in Würzburg bekommt er einen Lehrstuhl für Pathologie. 1857 geht er nach Berlin. In seinen bis auf den letzten Platz belegten Vorlesungen rekapituliert Virchow nicht bereits vorhandenes Basiswissen, sondern zumeist eigene Entdeckungen, die teils noch gar nicht publiziert worden sind."Jede Zelle aus der Zelle"Virchows herausragendste Leistung wird die Zellularpathologie, die mit der Theorie von den Säften als Krankheitsursache endgültig aufräumt und die kleinste Einheit der Zelle zum Gegenstand der Betrachtung macht. "Jede Zelle kommt aus einer Zelle" - das ist sein genetischer Grundsatz. Darüber hinaus brilliert Virchow als Anthropologe und Archäologe - auch wenn er sich bei seiner Einschätzung des Neandertalers als rachitischem Homo sapiens arg vergreift.

Für Virchow gehören Medizin und Politik als Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft unweigerlich zusammen. 1848 schließt er sich deshalb der Märzrevolution an und verbaut sich damit kurzfristig seine Karriere. 1859 wird er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, wo er die Hygiene in den Berliner Schlachthöfen und Markthallen verbessert und eine Abwasserentsorgung für die explodierende Großstadt initiiert. So ist es wohl ihm zu verdanken, dass in Berlin - anders als in Hamburg - keine verheerende Choleraepidemie ausbricht. Darüber hinaus wird Virchow Mitbegründer der deutschen Fortschrittspartei, für die er 1880 als Abgeordneter in den Reichstag des geeinten Kaiserreichs einzieht. Hier ist seine scharfe Zunge nicht zuletzt von Otto von Bismarck gefürchtet. Virchow stirbt 1902 in Berlin im Alter von 80 Jahren an Herzversagen. Das medizinische Universalgenie hinterlässt 2.000 wissenschaftliche Arbeiten, darunter 800 medizinische Schriften.

Stand: 13.10.06