Mit dem 16. Mai 1974 enden hektische Tage im politischen Bonn. Erst zehn Tage zuvor ist Willy Brandt als Kanzler zurückgetreten, gestolpert über den DDR-Spion im Kanzleramt, Günter Guillaume. Sofort hat die SPD Finanzminister Schmidt zu seinem Nachfolger nominiert. Am 15. Mai wählt die Bundesversammmlung den Außenminister und in diesen Tagen geschäftsführenden Kanzler Walter Scheel zum künftigen Bundespräsidenten. Drei Stimmen aus der sozialliberalen Koalition verweigern sich dem neuen Staatsoberhaupt. Drei Nein-Stimmen aus dem Regierungslager erhält auch Schmidt bei seiner Wahl einen Tag später. Ein sportlicher Schlagabtausch zwischen SPD und FDP?Der neue Kanzler geht auf solche Gerüchte mit keinem Wort ein. Sein Einstand als Regierungschef verläuft ganz nach dem Geschmack des Hanseaten, der bald den Beinamen "Der Macher" erhalten wird: schnell und unsentimental. Kurz nach elf Uhr verkündet Annemarie Renger das Wahlergebnis: 267 Ja-, 225 Nein-Stimmen. Es folgen Gratulationen, ein kurzer Händedruck von Willy Brandt und rote Rosen von Herbert Wehner. Danach sitzt der neue Kanzler eine Weile völlig allein auf der Regierungsbank. Mittags überreicht ihm Gustav Heinemann die Ernennungsurkunde. Um vier Uhr nachmittags leistet Schmidt seinen Amtseid und wieder eine Stunde später werden die Minister ernannt. Und dann gibt es noch eine Sondersitzung der SPD-Fraktion, auf der Schmidt seine Regierungserklärung in dem knappen Satz zusammenfasst: "Mit den Träumereien muss jetzt Schluss sein." Das beziehen die Partei-Linken auf sich und ihre Reformpläne.Noch am gleichen Tag betritt Schmidt das Kanzleramt. Eine Amtsübergabe findet nicht statt. In Brandts Arbeitszimmer erklärt der Neue, es müssten neue Möbel her, nicht "dieses Gelsenkirchener Barock".
Ein Tag genügt Helmut Schmidt, um seinen Regierungsstil zu kennzeichnen: Tempo und Pragmatismus. Beides behält er acht Jahre lang bei, bis zum Misstrauensvotum am 1. Oktober 1982.
Stand: 16.05.04