Die Schweiz ist sauber. Sie macht die beste Schokolade und hat Geld. Und sie entscheidet alles via Volksentscheid, mit teils bewundernswert hoher Beteiligung der Bevölkerung. Fragen zur Glaubensfreiheit und zum Zündhölzchenmonopol werden ebenso durch direkte Abstimmung entschieden wie eine Justizreform, die Frauenquote und eine Modernisierung des Verkehrssystems. Oder der Beitritt zur EU: Am Sonntag, dem 4. März 2001, wird abgestimmt. Das Ergebnis ist eindeutig. 77 Prozent der Schweizer sagen nein zum Beitritt. Das "einig Volk von Brüdern" (Schiller) bleibt für sich. Die Schweiz mag im Herzen Europas liegen, ihr Herz schlägt nicht für die EU.Politikwissenschaftler erklären die Niederlage der Europa-Befürworter mit dem eigenständigen Demokratieverständnis der Schweizer. "Direkte Demokratie gehört dort zur politischen Kultur", sagt der Völkerrechtler Bernhard Kempen von der Uni Köln. "Die Schweizer haben die Befürchtung, dass diese in einer Europäischen Union, deren Demokratiedefizit mit Händen zu greifen ist, einen Rückschritt erleidet." Für solche Ängste hat Kempen durchaus Sympathie: "Ich habe da viel Verständnis für die Schweizer", betont der Wissenschaftler. "Die sagen: Unsere demokratische Kultur im Lande, die ist uns so wertvoll, dass wir sie nicht so leicht aufs Spiel setzen wollen." Was auch immer die tatsächlichen Gründe im Einzelnen gewesen sein mögen: Seit nunmehr fünf Jahren verstaubt der Antrag der Regierung für den Beitritt in den Schubladen.
Ganz verzichten wollen die Schweizer indes nicht auf die EU. Bilaterale Vereinbarungen und Verträge zum Transportwesen oder zu Medienfragen regeln das Verhältnis zwischen dem kleinen Land und dem europäischen Nachbarn. Die Schweiz habe sich "die Punkte herausgepickt, die für sie vorteilhaft sind und die Punkte ausgelassen, die für sie Verpflichtung sind", sagt Kempen. Die fünf Milliarden Euro etwa, die die Schweiz bei einem Vollbeitritt jährlich zahlen müsste, werden so eingespart.
Stand: 04.03.06