Benito Mussolini hat einen Traum. Eine Filmindustrie will er gründen, die das faschistische Italien von den Produktionen des politischen Konkurrenten USA unabhängig macht. Ein "Hollywood am Tiber" soll entstehen, in der vom ersten Drehbuchentwurf bis hin zur fertigen Filmkopie jeder Produktionsabschnitt verwirklicht – und damit von ihm besser kontrolliert – werden kann. Am 29. Januar 1936 um neun Uhr legt der "Duce" nahe Rom mit großem Pomp den Grundstein für Cinecittà, seine "Kinostadt". Aber die seichten Komödien und sentimentalen Kitschstreifen von Mussolinis Traumfabrik kommen bei den Massen nicht an. Selbst ein Verbot für die Einfuhr ausländischer Filme von 1938 ändert daran wenig. Noch bevor die faschistischen Propagandafilme fertig werden, hat der Duce ihren Inhalt schon längst wieder revidiert.So paradox es klingt: Erst die Zerstörung des Geländes durch Bomben der Alliierten im 2. Weltkrieg lässt Cinecittà zu einem Imperium werden. Wie Phoenix aus der Asche entsteht der Komplex 1949 neu. Zu einer Zeit, als Monumentalfilme in Hollywood zu teuer werden, baut man nahe Rom die Antike nach. Für "Ben Hur" schlagen sich Modellschiffe, die auf Unterwasserschienen fahren, in einem eigens errichteten Bassin, für das berühmte Wagenrennen verschwindet die Hochhauskulisse der Metropole hinter einer gemalten Kulisse mit Zuschauertribünen. "Quo Vadis" (1950) steht am Anfang, "Cleopatra" (1962) am Ende dieser goldenen Ära. Die bis dahin teuerste Filmproduktion aller Zeiten floppt jedoch an der Kinokasse. Erneut ist Cinecittà, bis 1998 Staatsbetrieb und heute privatisiert, vom Abriss bedroht.
Aber schon Anfang der sechziger Jahre naht Rettung, diesmal aus dem eigenen Land. Autorenfilmer wie Michelangelo Antonioni, Bernardo Bertolucci und Luchiano Visconti entdecken die Kinostadt. Vor allem aber Federico Fellini glaubt, hier, etwa für "La dolce Vita" (1960), ein Umfeld für seine Phantasien zu finden: ein Umfeld, das ihm die Wirklichkeit nicht bietet. Er habe zwei Zuhause, in denen er sich wohlfühle, gibt Fellini an: in seinem eigenen manchmal, und in Cinecittà immer.
Stand: 29.01.06