Am Morgen des 1. Juli 1959 wählen die Mitglieder der Bundesversammlung in Bonn auf Antrag von CDU und CSU Heinrich Lübke zum zweiten Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Für seine Ehefrau Wilhelmine ist das kein Grund, ihre Gewohnheiten aufzugeben: "Ich bin um halb sieben wach geworden, habe meinen Morgenspaziergang gemacht, im Garten, natürlich mit unserer Asta, unserer Schäferhündin. Und dann begann der Tagesablauf wie immer: Ich ging zur Universität." Die 73-Jährige besucht als Studentin Vorlesungen in Russisch.Die neue First Lady wird am 9. Mai 1885 als Wilhelmine Keuthen in Ramsbeck im Sauerland geboren. Ihr Vater ist Büroleiter in den dortigen Erzbergwerken. Während ihre drei Brüder das Gymnasium absolvieren, darf Wilhelmine nur die Volksschule besuchen. Sie wird Hilfslehrerin in einer Dorfschule. 1908 legt sie die Ergängzungsprüfung für den höheren Schuldienst ab. Sie besteht mit Auszeichnung, schreibt sich an der Uni Münster ein und geht als Lehrerin nach Berlin, wo sie zehn Jahre als Studienrätin am Oberlyzeum der Franziskanerinnen tätig ist. Zur selben Zeit erteilt der spätere Bischof von Münster, Clemens August Graf von Gahlen, dort Religionsunterricht. Bei einem Treffen des "Sauerländischen Gebirgsvereins" in der Hauptstadt lernt sie den zehn Jahre jüngeren Heinrich Lübke kennen und heiratet ihn 1929. Zwei Jahre später beginnt die politische Karriere ihres Ehemannes. Er zieht für die katholische Zentrumspartei in den Preußischen Landtag ein. Nach 1933 wird er festgenommen und sitzt über ein Jahr in Untersuchungshaft. Im Zweiten Weltkrieg arbeitet Heinrich Lübke in einem Berliner Ingenieurbüro, das für den späteren Rüstungsminister Albert Speer dienstverpflichtet wird. Ab 1944 werden Bauten für das mit Zwangsarbeitern betriebene Raketenwaffenprogramm erstellt.
1947 wird Heinrich Lübke zum Landwirtschaftsminister in NRW ernannt. Sechs Jahre später wird er Bundesernährungsminister. Wilhelmine Lübke wird mit "Frau Minister" angesprochen. Die zehn Jahre von Lübkes Präsidentschaft ab 1959 werden später spöttisch "Wilhelminische Epoche" genannt. Der Öffentlichkeit bleibt nicht verborgen, dass Wilhelmine meist die Zügel in der Hand behält. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mault: "Irgendwer muss Frau Wilhelmine Lübke auch sagen, dass sie auf Staatsbesuchen ihren Mann nicht mit dem Ruf 'Heini, wir gehen zu Bett' ins Quartier beordern kann." Der Amtsnachfolger ihres Mannes, Bundespräsident Gustav Heinemann (SDP), verleiht Wilhelmine Lübke 1969 für ihr karitatives Engagement das Großkreuz des Bundesverdienstordens. Bis zu ihrem Tod am 3. Mai 1981 in Bonn ist sie Ehrenvorsitzende des Kuratoriums "Deutsche Altershilfe", die sie zusammen mit ihrem Mann gegründet hatte.
Stand: 03.05.06