Stichtag

06. November 1921: Julius Hackethal wird geboren

Die Frau mit dem verstümmelten Gesicht will sterben. Vor laufender Kamera bestätigt sie Julius Hackethal ihren Wunsch, berichtet von ihren Leiden. Niemand soll später sagen können, der Chirurg habe sie umgebracht. Dann gibt Hackethal ihr das tödliche Zyankali. Der Film kommt in die Öffentlichkeit und löst eine heftige Diskussion um passive und aktive Sterbehilfe aus. Die Bundesärztekammer läuft Sturm, Hackethal wird angeklagt, aber nicht verurteilt, weil die Frau die Giftkapsel nachweislich selbst genommen hat. Für Hackethal ist dies nur ein weiterer Kampf vor Gericht, für sich und die Sache: ein Kampf, der sein Leben bestimmt. Nach eigenen Angaben gibt er bis zu seinem Tod umgerechnet 250.000 Euro für Gerichtskosten aus.

Hackethal wird am 6. November 1921 im thüringischen Eichsfeld geboren, einer katholischen Enklave unter lauter Protestanten. Seine Kindheit verlebt er abgeschieden auf einem mittelgroßen Bauernhof. Seine Mutter will ihn zum Landarzt machen und vermittelt ihm ein Studium der Medizin an der Militärärztlichen Akademie in Berlin. Bevor die Amerikaner nach dem verlorenen Weltkrieg einmarschieren, besorgt Hackethal sich 1945 durch Bestechung mit einer Kiste Zigaretten die Not-Approbation. 1956 geht er an die chirurgische Uni-Klinik nach Erlangen. Sieben Jahre später verweigert er seinem Vorgesetzten den Gehorsam und wird entlassen. Daraufhin wirft Hackethal ihm 138 Kunstfehler vor, die Hälfte mit tödlichem Ausgang. Mit der einstweiligen Verfügung seines Gegners folgt auch der chirurgische Abstieg. Hackethal wird Assistenzarzt im Städtischen Krankenhaus von Lauenburg. Aber er arbeitet sich zum Chefarzt hoch.Fortan kritisiert Hackethal die überhebliche "Helden-Chirurgie" der Ärzteschaft, beschimpft die Krebstherapie der Schulmediziner als "Verstümmelungs-Strategie" und plädiert dafür, den Patienten in der Entscheidung um ihre Zukunft und ihren Tod mehr Mitspracherecht zu geben. In den Büchern "Auf Messers Schneide" (1976) und "Nachoperationen" (1977) stellt er seine Positionen anhand konkreter Einzelfälle dar. Kritiker halten Hackethal für einen eitlen Selbstdarsteller, der seine Rolle als Kritiker im Medizinbetrieb medienwirksam inszeniert. Für seine Patienten ist er oft die letzte Hoffnung. Zumindest seine Unterscheidung von stillen und aggressiven Formen beim Prostatakrebs führt in der deutschen Medizinwelt zu unterschiedlichen Behandlungsweisen. Hackethal stirbt am 17. Oktober 1997 in Bernau an Lungenkrebs.

Stand: 06.11.06