Stichtag

22. August 2007 - Vor 15 Jahren: Ausländerfeindliche Krawalle in Rostock

Deutschlandtrikot, eingenässte Jogginghose, Hitlergruß: Es ist vermutlich das erste Mal, dass ein offensichtlich betrunkener Mann aus Rostock-Lichtenhagen in der New York Times abgebildet wird. Das Foto entsteht im Sommer 1992. In der Bundesrepublik tobt der Streit um eine Verschärfung des Asylrechts. Über 483.000 Menschen werden bis Jahresende einen Asylantrag stellen - so viele wie noch nie. Allein nach Rostock kommen jeden Monat 11.000 Asylbewerber. Die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber liegt mitten in der Plattenbau-Siedlung Rostock-Lichtenhagen. Die Aufnahmestelle befindet sich im so genannten Sonnenblumenhaus, einem elfgeschossigen Gebäude, in dem auch das Asylbewerberheim untergebracht ist. Die Unterkünfte darin sind überfüllt. Viele Flüchtlinge leben seit Monaten auf der Straße - ohne Wasser und ohne Toiletten.

Die Behörden von Stadt, Land und Bund kennen die Zustände in Rostock und anderswo. Im Sommer 1992 kommt es bundesweit fast täglich zu Anschlägen auf Asylbewerberheime. Wenige Tage vor den Pogromen in Rostock kündigt eine so genannte Lichtenhagener Bürgerwehr an, "aufzuräumen". Die Politik schaut zu. "Wir können nicht alle Probleme dieser Welt auf deutschem Boden und in den deutschen Gemeinden lösen", sagt Bundesinnenminister Rudolf Seiters ( CDU ). Am 22. August 1992 greifen am Abend rund 400 rechtsgerichtete Jugendliche in Rostock-Lichtenhagen die Asylbewerber an - mit Baseballschlägern, Steinen und Brandsätzen. Bis zu 5.000 Passanten sehen zu und applaudieren. Die Polizei ist schlecht ausgerüstet und den rechtsextremen Angreifern deutlich unterlegen.

Drei Tage lang dauern die rassistischen Ausschreitungen. Nachdem das Asylbewerberheim aus Sicherheitsgründen geräumt ist, stecken Neonazis am 24. August 1992 das benachbarte Haus in Brand. Darin halten sich über 100 Vietnamesen und ein deutsches Fernsehteam auf. Sie werden von den Flammen eingeschlossen, können sich aber schließlich retten. Für diese Geschehnisse macht der Kölner Professor Christoph Butterwegge rückblickend die Politik der etablierten Parteien mitverantwortlich: "Wäre Helmut Kohl zum Beispiel zu den Opfern gefahren - was er nie gemacht hat -, dann wäre das natürlich ein Signal an die Rechtsextremisten gewesen: Wir können uns nicht auf heimliche Sympathien stützen." Der CDU-Bundeskanzler hingegen setzt damals auf schnelle Lösungen im Asylrecht: "Und zwar auf Lösungen, die greifen und die dem Missbrauch von Asyl wirksam einen Riegel vorschieben." Im Dezember 1992 einigen sich Union und  SPD auf den so genannten Asylkompromiss. Das Grundrecht auf Asyl wird 1993 stark eingeschränkt.

Stand: 22.08.2007