Stichtag

13. Dezember 2007 - Vor 105 Jahren: Acht-Stunden-Rede im Reichstag

13. Dezember 1902, 16.30 Uhr: Im Reichstag in Berlin begibt sich der SPD-Abgeordnete Otto Friedrich Antrick ans Rednerpult: "Für mich ist das kein Spaß, für mich ist das eine Anstrengung, aber ich erfülle hier meine Pflicht", sagt der Zigarettenfabrikant. "Ich werde - solange meine physischen Kräfte ausreichen - diese Stelle nicht verlassen, Sie mögen machen, was Sie wollen." Antrick redet acht Stunden lang ununterbrochen am Stück. Dabei hat er weder inhaltlich Besonderes mitzuteilen, noch will er den politischen Gegner durch Argumente überzeugen. Ziel des Rede-Marathons ist es vielmehr, eine Abstimmung über die Erhöhung der Zolltarife zu verzögern.

Der Hintergrund: Die Sozialdemokraten haben zwar 27 Prozent der Stimmen bekommen, aber durch das Mehrheitswahlrecht nur 14 Prozent der Mandate. Sie fühlen sich über den Tisch gezogen und wollen mit parlamentarischen Tricks verhindern, dass die konservative Mehrheit Gesetze durchpeitscht. Eine damals gängige Taktik der SPD ist die so genannte Obstruktion, die Verhinderung von Entscheidungen. Der Abgeordnete Antrick hat mit seiner Dauer-Rede allerdings keinen Erfolg. Als er um 0.30 Uhr aufgibt, kommt es in der Nacht doch noch zur Abstimmung. Das Gesetz wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten verabschiedet.

Dauerquasseln als taktisches Mittel gibt es in einigen Ländern auch heute noch. Zum Beispiel im US-Senat. Das so genannte Filibustern hat dort lange Tradition. Zuletzt haben die Demokraten 2003 fast 40 Stunden lang die Ernennung von Bundesrichtern durch Präsident George W. Bush verhindert, die ihnen zu konservativ waren. Dabei müssen sich die Senatoren nicht zur Sache äußern. In der Debatte haben sie stattdessen Gulasch-Rezepte vorgelesen und Hobbygärtnern Tipps gegeben, wie man wilde Kaninchen fernhält. Die Redezeit ist dort bis heute nicht begrenzt. Im Deutschen Bundestag soll hingegen ein Abgeordneter laut Geschäftsordnung in der Regel nicht länger als 15 Minuten sprechen. Das Rederecht des Einzelnen ist mittlerweile jedoch in der Praxis zu einem Rederecht der Fraktionen geworden. Die Redezeit wird nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt: der so genannten Berliner Stunde. Sind für eine Debatte 60 Minuten Aussprache vorgesehen, so dürfen - entsprechend der Fraktionsgröße - CDU und SPD davon je 19 Minuten, die FDP acht sowie Grüne und Linke jeweils sieben Minuten reden.

Stand: 13.12.07