Mit angstverzerrtem Gesicht fährt ein potenzielles Opfer durch die vom Scheinwerfer seines Autos erleuchtete Allee. London liegt im Nebel, im Gutsschloss knarren die Dielen. Wenn eine Person in einer Tür verschwindet, betritt eine andere den Flur. Joachim Fuchsberger oder Heinz Drache ist der Kommissar, Eddi Arent der spleenige Polizeifotograf, Klaus Kinski der finstere Geselle. So einfach - und doch so verworren - präsentiert sich dem deutschen Publikum zwischen 1959 und 1972 im Kino die Welt des Edgar Wallace: ein Riesenerfolg, der immer wieder neue Produktionen nach sich zieht.
Einfach gestrickt, nebulös und verworren sind auch die Kriminalromane von Wallace selbst. Insgesamt schreibt der Autor, der 1875 in Greenwich geboren wird, ab seinem 30. Lebensjahr 173 Romane, 17 Theaterstücke und rund 1.000 Erzählungen. Alle sieben Wochen entsteht ein neuer Krimi. Aber eigentlich schreibt Wallace seine Bücher nicht. Denn er gilt als erster Autor, der seine Bücher in ein voluminöses Diktiergerät spricht - vorwiegend nachts oder früh am Morgen, im bequemen Hausmantel und wach gehalten von Dutzenden Zigaretten und Kannen überzuckerten Tees. Mit Titeln wie "Der grüne Bogenschütze", "Der schwarze Abt", "Der Zinker" und "Der Hexer" ist Wallace in den zwanziger Jahren in Deutschland der meistgelesene Autor. Als er 1928 Leipzig besucht, stehen Hunderte am Bahnhof, um ihn zu begrüßen. Nach dem Krieg ist die Bibliothek von Bundeskanzler Konrad Adenauer angefüllt mit seinen Büchern.
"Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein" druckt der Goldmann-Verlag jahrelang auf die Rückseite seiner Taschenbuchausgaben. Selbst eine Geistesgröße wie Ernst Bloch kann dies nicht verhindern - obwohl er angibt, es sei sogar überaus "leicht möglich, von Wallace nicht gefesselt zu sein". Der rastlose Krimi-Autor stirbt am 10. Februar 1932 auf einer Amerikareise, stark übergewichtig und diabeteskrank, eines natürlichen Todes. Als seine Leiche an Bord eines Dampfers in Southampton ankommt, läuten die Glocken. In London ist auf Halbmast geflaggt. Ob sich die Stadt ihm zu Ehren in Nebel hüllt, ist nicht überliefert.
Stand: 10.02.07