Im Jenseits fühlt sich der Bayer nicht wohl. Das jedenfalls beschreibt Ludwig Thoma in seiner wohl berühmtesten Erzählung "Ein Münchner im Himmel", in der der Dienstmann Alois Hingerl entgegen der "Hausordnung" unter den Engeln partout nicht frohlocken und Hosianna singen will. Sogar mit dem Herrgott legt er sich an, bis man ihn endlich wieder ins Hofbräuhaus hinunter lässt. Was oberflächlich wie der Lobgesang auf die bayerische Lebensart klingt, entpuppt sich bei genauerer Lektüre nicht zuletzt als bodenständige, wenn auch liebevolle Satire auf urbayerischen Starrsinn und Beamtentum.Thoma wird am 21. Januar 1867 als Sohn eines Oberförsters in Oberammergau geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters beginnt eine wechselhafte Odyssee durch verschiedene bayerische Latein- und Gymnasialschulen, die 1905 in den "Lausbubengeschichten" (1905) ihren Niederschlag findet. Um in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten, studiert Thoma in Aschaffenburg Forstwirtschaft, wechselt aber schon bald zu Jura und siedelt nach drei Jahren als Anwalt in Dachau 1897 nach München über. Die Prozesse dieser Zeit bilden den Stoff für sein erstes Buch "Agricola" (1897). Thoma wird Mitarbeiter der Satirezeitschrift "Simplicissimius", die sein Denken zunächst prägt. "Dreinhauen, dass die Fetzen fliegen", lautet hier sein Motto. Wegen eines Beitrags muss er für sechs Wochen ins Gefängnis. Es entstehen sozialkritische Lustspiele wie "Die Medaille" (1901) oder "Moral" (1909) sowie Bauerntragödien und Romane, die vom bayerischen Dialekt leben und die teils verschrobenen Eigenheiten seiner Landsleute, aber auch die Fallstricke der Gerichtsbarkeit aus der Perspektive des Großstadtautors karikieren.
Pralinen in der Badewanne
Zu dieser Zeit führt Thoma das Leben eines Bohèmien. In Paris hat er eine Konkubine, in München soll er sich mit einer Sizilianerin die Tage Pralinen essend und Champagner trinkend in der Badewanne vertreiben. "Ein Leben zwischen Smoking und Lederhose" nennt das der Thoma-Kenner Fritz Fensel. Mit dem Ersten Weltkrieg kommt die Wende: Thoma, der den Kaiser einst als "aufgeblasenen Schwätzer" bezeichnet hatte, wird loyal und offenbart eine immer schon latent vorhandene nationalistische, rechtskonservative Gesinnung. Bereits als 32-Jähriger hatte Thoma als Mitarbeiter der Zeitschrift "Die Jugend" einige antisemitische Gedichte verfasst. Erst 1989 aber wird enthüllt, dass er in den zwanziger Jahren anonym zahlreiche Zeitungsartikel veröffentlichte, die gegen Juden und die Demokratie der Weimarer Republik agitieren. "Welch ein Spießer!", urteilt Kurt Tucholsky über den Thoma dieser Zeit.Depressiv geworden, stirbt der an Magenkrebs erkrankte Thoma 1921 in Rottach. Er wird neben seinem Freund Ludwig Ganghofer beigesetzt. In seinem Nachlass befindet sich auch ein nicht ausgefüllter Mitgliedsantrag der NSDAP.
Stand: 21.01.07