Stichtag

31. Januar 1977: Centre Pompidou wird eröffnet

Für die jungen Erbauer ist ihr Entwurf zum Centre Pompidou "eher das Projekt eines Bengels, der seinem Prüfer eine Nase dreht". Mit Hochkultur nämlich haben die erst 30-jährigen Architekten Richard Rogers aus England und Renzo Piano aus Italien nicht viel im Sinn. Für das neu zu schaffende Kunst- und Kulturzentrum im Herzen von Paris ist das ein Glücksfall. Denn so entspricht die Architektur des Hauses ganz und gar der Idee, die es verkörpern soll: der Idee eines für alle Bevölkerungsschichten offenen Kulturforums, das keine Berührungsängste mit der Kunst weckt.Nicht durch ein pompöses Portal betritt man das Gebäude, das neben einer öffentlichen Lesebibliothek mit 2.000 Studierplätzen immerhin auch Europas größtes Museum für Kunst und Design der klassischen Moderne enthält, sondern durch eine unspektakuläre Schiebetür. Keine monumentalen Treppen muss man erklimmen, um dem Kunstgenuss zu frönen: Rolltreppen wie im Warenhaus bringen den Besucher zu den Bildern. Die gläsernen Treppenhäuser und bunten Belüftungsröhren haben Rogers und Piano einfach an die Fassade gehängt. Das Centre Pompidou ist eine gigantische Kunstfabrik, die ihre Innereien außen trägt - und die jeder kostenlos betreten kann."Ein Haufen Eisen"Konservative Prüfer finden das freche Projekt mangelhaft. Hässlichkeit wird dem Centre Pompidou bescheinigt. An Musentempel gewöhnt, will man sich keinen Industrieklotz vor die Nase setzen lassen. Nach dem Tod von Frankreichs Staatspräsident Georges Pompidou, der den Anstoß zum Kulturzentrum gab, fragt sein Nachfolger Valéry Giscard d'Estaing 1974 an, wie viel es kosten würde, die Bauarbeiten einzustellen. Premierminister Jacques Chirac ist es zu verdanken, dass der Bau vollendet wird. Am 31. Januar 1977 wird das Centre Pompidou trotz aller Widerstände auch aus der Bevölkerung eingeweiht. Der Erfolg gibt ihm Recht: Wo man mit 5.000 Besuchern täglich gerechnet hatte, strömen jahrzehntelang 25.000 in die Räume. Noch heute sind es jeden Tag rund 20.000 Menschen, die sich in Bibliothek und Museum, bei Vorträgen oder Film-, Theater- und Tanzveranstaltungen zusammenfinden.

Selbst nach 30 Jahren wirkt das Centre Pompidou außen noch so modern wie einst. Von der Utopie einer kostenlosen Kulturfabrik als volksnaher Freiraum für die Künste allerdings ist im Innern nicht mehr viel geblieben. Längst wird für das Museum Eintritt verlangt, die Bibliotheksbesucher stehen an einem Seiteneingang Schlange. Und auch der Versuch, junge, motivierte Kunststudenten als Wärter zu engagieren und immer wieder gegen neue Studenten auszutauschen, ist gescheitert. Die Wärter bleiben und wollen eine Festanstellung. So kommt es, dass über die Hälfte der 1.300 Angestellten des Zentrums über 50 Jahre sind - und nach eigenem Bekunden maßlos frustriert.

Stand: 31.01.07