Stichtag

03. Oktober 1957: Brandt wird Regierender Bürgermeister von Berlin

Bürgermeister seiner Geburtsstadt mag der 1945 aus  skandinavischem Exil heimgekehrte Sozialdemokrat nicht werden. In den Jahren des Widerstandskampfes gegen das Nazi-Regime hat sich der junge deutsche Emigrant international eine große Reputation erworben. Da "kam mir Lübeck ein wenig eng vor", bekennt Willy Brandt später. Viel lieber lässt sich der Hoffnungsträger der SPD von Parteichef Kurt Schumacher in die Frontstadt Berlin entsenden, um dort den Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter während der schwierigen Monate von Blockade und Luftbrücke zu unterstützen.

Für die Berliner ist Willy Brandt ein völlig unbeschriebenes Blatt. Still, aber beharrlich, zielbewusst und mit jungenhaftem Charme, erarbeitet sich Brandt in der geteilten Stadt schnell den Ruf eines "Mannes mit Zukunft". Auch im fernen Bonn horcht man bald auf, wenn der 1949 als Berliner Bundestagsabgeordnete an den Rhein entsandte Brandt in großen Debatten zu gesamtdeutschen Fragen Stellung bezieht. Ein Jahr später zieht er ins Berliner Abgeordnetenhaus ein und wird 1955 zu dessen Präsidenten gewählt. Vehement versucht der politische Gegner, den rasanten Aufstieg Brandts mit einer Verleumdungskampagne zu bremsen: Wegen seiner Emigration in der Nazi-Zeit wird Brandt als feiger Flüchtling und vaterlandsloser Geselle diffamiert.

Doch die auch später immer wieder einsetzende Rufmordkampagne kann Brandt nicht schaden. Am 3. Oktober 1957 wählt ihn die große SPD/CDU-Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus zum Nachfolger des verstorbenen Regierenden Bürgermeisters Otto Suhr. Die Berliner sind begeistert vom jüngsten Landeschef der jungen Bundesrepublik. Sie honorieren, wie sich der 43-jährige Brandt seit Jahren in Bonn für ihre eingekesselte Stadt einsetzt, lautstark Bundeszuschüsse und die Ansiedlung von Behörden einfordert. Und sie schätzen den fröhlichen, volksnahen Charme des "Sonnyboys" unter den Politikern, der mit seiner attraktiven, norwegischen Frau Rut für lange vermissten Glamour im grauen Alltag der Stadt sorgt. Mit dem Bau der Mauer und dem Besuch von US-Präsident John F. Kennedy betritt der künftige erste SPD-Bundeskanzler dann endgültig die Bühne der internationalen Politik.

Stand: 03.10.07