Hätte Giuseppe Verdi alle Tantiemen erhalten, die ihm für die Aufführung seiner Werke zustanden, wäre er einer der reichsten Männer der Welt geworden. Seine populärsten Opern "Rigoletto", "Il Trovatore" und "La Traviata" entstehen zu einer Zeit, als Eisenbahnen und Dampfschiffe die Erdteile erobern. Auf allen großen Bühnen der Opernwelt, in den Salons der oberen Zehntausend ebenso wie in den Gassen der Arme-Leute-Viertel sind seine Arien, Chöre und Märsche präsent. "Ob in Indien oder im Innersten Afrikas, du wirst den 'Troubadour' hören" kann Verdi bereits 1863 ohne die geringste Übertreibung niederschreiben. Rein geschäftlich gesehen ist er der Andrew Lloyd Webber des 19. Jahrhunderts. Im zersplitterten, von fremden Mächten beherrschten Italien erklingt seine Musik als Stimme der Hoffnung auf eine geeinte Nation. So wird der Gefangenenchor aus "Nabucco" zur heimlichen Nationalhymne der Italiener.
Am 10. Oktober 1813, während der napoleonischen Besetzung, kommt Giuseppe Verdi in Le Roncole bei Parma zur Welt. Im Taufbuch wird er mit den Vornamen Joseph Francois Fortunin eingetragen. Sein Vater führt einen Kolonialwarenhandel, seine Mutter arbeitet als Näherin. Später, als er längst als reicher Großgrundbesitzer auf seinem komfortablen Landsitz in Sant' Agata residiert, wird er seine einfache Herkunft zum Markenzeichen stilisieren: "Ich war, bin und bleibe für immer ein Bauer aus Le Roncole." Mit 23 Jahren heiratet Verdi die Tochter eines Gönners und erlebt wenige Jahre darauf die Tragödie seines Lebens: Innerhalb kurzer Zeit sterben seine beiden Kinder und seine Ehefrau. Wie ein Berserker stürzt er sich im folgenden Jahrzehnt, das er später seine "Galeerenjahre" nennt, in die Arbeit und komponiert zwölf seiner insgesamt 28 Opern. Begleitet wird Verdis Schaffen vom ständigen Kampf um angemessene Bezahlung und gegen eine Obrigkeit, die bis zur Einigung Italiens im Jahr 1861 jedes Libretto penibel nach subversiven Tendenzen durchsucht. Trotzdem kann kein Zensor verhindern, dass Giuseppe Verdis Musik zum politischen Ausdrucksmittel revolutionärer Gesinnung wird.
Ebenso revolutionär wie auf der politischen Bühne wirkt Verdis Schaffen für die gesamte Oper des 19. Jahrhunderts. Sein musikalisches Einfühlungsvermögen in die Psychologie der von ihm geschaffenen Charaktere unterscheidet ihn grundlegend von allen Vorgängern und Zeitgenossen. Leidende Soprane, innerlich zerrissene Tenöre oder erzböse Baritons - bei Verdi stehen sie nicht auf der Bühne, um zu singen. Sie singen, weil ihr Bühnenschicksal sie dazu zwingt. Die Musik allein bedeutet nichts; Bedeutung erlangt sie allein im Kontext des Dramas. Wie kein anderer in seiner Zeit habe er die Massen gefühlt und so seine ungeheuren Chöre geschrieben, erklärt Franz Werfel in seinem großen Verdi-Roman von 1924. Nach einer langen Schaffenskrise kehrt Giuseppe Verdi als 77-Jähriger noch einmal mit Stoffen von William Shakespeare auf die Opernbühne zurück. Sein Vermächtnis sind die Schlussworte des Falstaff, dem er in einer großartigen Fuge das Fazit seines Lebens und seiner Kunst in den Mund legt: "Alles ist nur Spaß auf Erden, wir selber sind geborene Narren. Wir prellen einander, eh man's gedacht. Doch wer zuletzt noch lachte, hat am besten gelacht." Am 27. Januar 1901 erliegt Giuseppe Verdi im Grand Hotel von Mailand den Folgen eines Schlaganfalls.
Stand: 10.10.08